Die Patchwork-Luege
ziehen es vor, unsere Liebespartner mit Erwartungen zu überfrachten, als sei der andere nur deshalb auf der Welt, um uns glücklich zu machen. Er soll unsere Wünsche erraten und erfüllen. Die Liebe, die Ehe ist eine Befriedigungsmaschine.
Schuld am hohen Scheidungsrisiko sind unsere »idealisierten Vorstellungen von einer Ehe und die Ansprüche an eine bestimmte Qualität einer ehelichen Partnerbeziehung, die häufiger schneller zu unerfüllten Bedürfnissen und damit zu Spannungen in den ehelichen Beziehungen führen.« Die Autorinnen sehen die Medien deshalb in der Pflicht, ein Bild der Ehe zu zeichnen, das etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat und sie nicht entweder als Gefängnis oder ewigen Honeymoon darzustellen.
Die Emanzipation der Frau und ihre Erwerbstätigkeit werden schnell und gerne vorgebracht, sobald ein paar Ursachen für die Instabilität von Ehen gesucht werden. So einfach ist es aber nicht. Viele Frauen gehen erst vor, während oder nach der Trennungsphase wieder arbeiten und lassen sich ausbilden beziehungsweise umschulen. »Frauen versuchen also, sich selbst aus der ökonomischen Abhängigkeit bereits – oder erst – im Prozess der Eheauflösung oder danach zu befreien, sei es gezwungenermaßen oder freiwillig.« Auch auf die Flexibilisierung sämtlicher Lebensbereiche sowie den Mobilitätsdruck, der auf jedem Einzelnen lastet, lässt sich das Scheitern nicht schieben. Natürlich belasten diese Faktoren eine Liebesbeziehung, aber niemals ist ein einzelner die Scheidungsursache.
Vermutlich haben wir in einem viel größeren Ausmaß, als wir glauben, die Fähigkeit verloren, Auseinandersetzungen in einer Beziehung für normal zu halten. Doch ohne Auseinandersetzungen sind Beziehungen zum Stillstand, also zum Scheitern verurteilt. Jede nicht oberflächliche Beschäftigung mit einem Menschen zieht naturgemäß Konflikte nach sich, das ist trivial. Manchmal sind sie größer, manchmal kleiner, und es kommt vor, dass ohne professionelle Hilfe eines Paartherapeuten die Liebe unrettbar ist. Die Scham, seine Probleme zu offenbaren, ist groß. »Nach Auskunft von Eheberatern scheinen die Ratsuchenden häufig eine so lange konfliktträchtige Vorgeschichte zu haben, dass die Bereitschaft der Partner, an ihren Problemen zu arbeiten, bereits sehr gering ist und die Beratung als Hilfe zur Trennung missverstanden wird.«
Wir werden immer älter, ein zweiter, dritter, vierter Frühling ist möglich. Die Familienphase mache, so Rosemarie Nave-Herz, allerhöchstens noch ein Viertel des Lebens aus. Lebenslaufperspektivisch ist sie eine transitorische Phase. In der vorindustriellen Zeit stimmte die Ehezeit fast mit der Familienzeit überein, in der Postmoderne hat sich für jeden Lebensabschnitt ein Partnermarkt gebildet, auf dem wir uns umschauen können.
Die Anwältin findet, dass den Eltern mehr abverlangt werden müsste. Ihnen müsse klar sein, dass eine Scheidung eine Verletzung des Kindeswohls sei. Das Kindeswohl ist in den vergangenen Jahren immer unwichtiger geworden. Rosemarie Nave-Herz schreibt, »die ethisch normativen Barrieren, das sind z. B. religiöse Gründe, dasGefühl der Verpflichtung gegenüber Kindern und/oder dem Ehepartner haben abgenommen und stehen bei den Jüngeren nicht mehr an erster Stelle«. Dafür hätten die psychischen Barrieren, zum Beispiel Angst vor dem Alleinsein, vor der eigenen Unselbständigkeit zugenommen. Die Sorge um sich selbst steht an erster Stelle.
Ein Fall hat die Anwältin besonders erschüttert. Das Paar wünschte sich sehnlich ein Kind, aber es klappte jahrelang nicht. Da der Wunsch übermächtig war, nahmen sie die Tortur der künstlichen Befruchtung auf sich. Sie bekamen Zwillinge. Die Zwillinge sind heute vier Jahre alt. Jetzt sagt die Frau: »Mein Mann ist nicht genügend da für mich, er redet nicht genügend mit mir und kümmert sich auch nicht um mich. Ich fühle mich partnerschaftlich zu wenig beachtet.« Der Mann ist verzweifelt. Sie leben getrennt. Damit der Vater seine Kinder sehen kann, arbeitet er nur noch vier Tage die Woche.
Es wäre anmaßend zu beurteilen, ob die jeweils vorgebrachten Gründe schwerwiegend genug sind, um eine Ehe zu beenden. Aber die Anwältin wundert sich schon, wie schnell heutzutage Frauen und Männer von Ehehölle sprechen. Ehehölle bedeutet in ihrem Verständnis Missbrauch, Gewalt, Alkohol. Gescheiterte Kommunikation, oder »er/sie macht mich nicht glücklich. Ich bin nicht mehr verliebt« bedeute Ehehölle
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