Die Patchwork-Luege
jedenfalls nicht.
Wir glauben, aus den achtziger Jahren gelernt zu haben. Die Gewissheit, dass wir nicht noch einmal die Fehler von damals begehen, wiegt uns in Sicherheit. Mit den Zeiten haben sich auch die Mütter und Väter geändert. Die Väterheißen jetzt »die neuen Väter«. Sie sind bei der Geburt dabei – mit Videokamera oder ohne –, nehmen Elternzeit, wickeln ihr Kind, besuchen die Vater-Kind-Gruppe, finden in der Küche den Tortenheber und waschen Wäsche.
Wenn von den neuen Vätern die Rede ist, wird verschwiegen, dass die Zahl derer, die beruflich länger als zwei Monate aussetzen, sinkt. Dafür steigt die Zahl der Väter, die zur selben Zeit wie ihre Frauen Elternzeit nehmen. Das erlaubt neben der Kinderbetreuung einen Tenniskurs. Solange der Mann sagen kann, er sei in Elternzeit gewesen, hat er die gesellschaftliche Erwartung an ihn erfüllt. Ist die Elternzeit vorbei, ist er wieder der alte Vater. Im Zweifelsfall, sollte sich das Kind zum Beispiel nicht an die Kita gewöhnen, gibt in der Regel die Frau ihren Beruf auf.
Die neuen Väter kümmern sich nicht nur vorbildlich um ihr Kind, sie verstehen sich auch nach der Scheidung weiterhin bestens mit ihren Exfrauen. Umgekehrt ist es genauso. Ob die Kinder dem Gymnasium gewachsen sind, vor 12 Uhr nachts zu Hause sein müssen, Klavier lernen sollen oder ob das Sommercamp in Frankreich sinnvoll ist: Entscheidungen, die die Kinder betreffen, trifft man erst nach gemeinsamem Abwägen.
Vater und Mutter verbringen einen Teil der Schulferien mit ihren Kindern, wobei diese in Ruhe eine Beziehung zu den neuen Partnern der Eltern und deren Kindern aufbauen können. Manche Expartner werden Freunde. Den Sommerurlaub, den man, seit die Kinder laufen können, gemeinsam im Ferienhaus auf Amrum verlebte, verlebt man auch künftig dort, nur eben mit der neuen Liebesamt deren Anhang. Psychologen haben uns gelehrt: Entscheidend ist, dass die Eltern nach der Trennung im Sinne des Kindeswohls handeln, also fair miteinander umgehen. Kinder sollten nicht Zeugen elterlicher Streitereien werden, man darf sie nicht als Druckmittel missbrauchen, um den Expartner zu quälen. Sie zu instrumentalisieren, schadet ihrer seelischen Gesundheit. Eltern bleiben Eltern. Scheidungskinder müssen Mutter und Vater regelmäßig sehen.
Um den Mobilitätsbedürfnissen der Kinder gerecht zu werden, entwickelten die Deutsche Bahn und die Lufthansa verschiedene Konzepte und verpassten ihnen nach Weltläufigkeit klingende Namen wie »Kids on tour«. Auf ihrer Internetseite schreibt die Bahn: »Die Betreuer der Bahnhofsmission gewährleisten während der gesamten Bahnreise eine durchgehende und sichere Betreuung von Kindern im Alter zwischen 6 und unter 15 Jahren, die ohne Eltern reisen. Und: Langweilig wird die Fahrt bestimmt nicht! (…) Was gibt es Spannenderes als die erste Reise ohne Eltern und den Blick durchs Fenster auf die vorbeirauschende Landschaft?« In der Annahme, dass Kinder getrennt lebender Eltern am Freitag nach der Schule zum anderen Elternteil reisen und am Sonntagnachmittag wieder die Heimreise antreten könnten, werden alle »Kids on tour«-Verbindungen zwischen Mittag und frühem Abend angeboten. Als die Bahn das Programm 2003 startete, reisten 223 Kinder für einen Aufpreis von 25 Euro durchs Land, im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 6827. Das Streckennetz baut die Bahn kontinuierlichaus, Frankfurt, Berlin, München, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Leipzig, Basel gehören bereits dazu.
Bei der Lufthansa ist für die unaccompanied minors , die Minderjährigen ohne Begleitung, der »Rotkäppchen-Service« zuständig. Genaugenommen flößt der Name nicht von vornherein Vertrauen ein. Neben der »First-Class-« und »Business-Class-Lounge« hat die Lufthansa am Frankfurter Flughafen eine bonbonbunte »Kinderlounge« mit Kinoecke, Snackbar, Chill-out-Zone, Internetzugang und Kickerspieltisch eingerichtet. Die Kinder, zwischen fünf und elf Jahren alt, tragen eine gelbe Umhängetasche mit sämtlichen Reisedokumenten und den wichtigsten Telefonnummern ihrer Familie. Man beobachtet sie eine Weile. Man ist erstaunt, wie vertraut ihnen diese Transitwelt ist, wie selbstbewusst sie sich in ihr bewegen. Keine Tränen, keine endlosen Abschiedsszenen, kein Jammern, als hätten die Kinder begriffen, dass während der Zeit des Hin- und Herfliegens von ihnen erwartet wird, erwachsen zu sein. Und man erinnert sich, wie es als Kind gewesen ist, wenn man brav sein sollte. Die
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