Die Patin
Wahltermin im September 2009 schon nicht mehr in dieser Konstellation zu Hause; ihre Testfahrt durch den Themenpark der Westpolitik war ja definitiv zu Ende. Erst kurz vor der Wahl gab es von ihr ein eher hingehuschtes Reagieren auf die Frage, mit wem sie denn regieren wolle? Eher am Rande und halblaut bestätigte sie: Na ja, mit der FDP.
Die Wähler dieser Koalition liefen aus allen Richtungen zusammen, weil sie ältere Konstellationen im Kopf hatten: Wirtschaftswunderweiterso, jedenfalls nicht den neuen Themenmix aus der Großen Koalition, wo man nicht mehr erkennen konnte, wer für was steht. Die Chefin dieser neuen Koalition mit den kleinen Gelben hatte ein ganz anderes Programm für die Kombination mit den überglücklichen Stimmenlieferanten, die fest an eine Belohnung glaubten. Aber das neue Modell passte noch nicht in die Wählerköpfe. Nicht einmal als Verdacht.
Und die mächtiger gewordene Kanzlerin konnte mit stillem Amüsement zusehen, wie ihre Kritiker aus der innerparteilichen Opposition sich an den falschen Kampfplätzen positionierten: schwache 33,8 Prozent für die CDU. Aber die Macht der Kanzlerin war gewachsen, und ihr Konzept, diese Macht undercover in eine Richtung auszuweiten, in die bis dahin kein misstrauischer Späher schaute, um die Usurpatorin zu stellen, dieses Konzept lag fertig vor ihr. Ablenkungsdebatten über wirtschaftsliberale Positionen von gestern und konservative Mitspieler von vorgestern konnten ihr da nur recht sein. Längst hatte sie für Rückfragen mit all den alten Labels eine Standardantwort im Wortbaukasten: Sie sei doch das alles, aber nicht alles immer zugleich – mal konservativ, mal liberal, mal christlich, je nach Anlass.
Die Antwort hat ihr noch nie ein Parteifreund als Entdeckung ihrer ironischen Distanz zum Partei-Credo vorgehalten. Immer schwiegen die Zuhörer ratlos. Genausogut hätte die Kanzlerin sagen können: Ich bin ein Chamäleon, ich wechsle die Farbe je nach Umgebung. Aber seitsie den Froschvergleich des FDP-Chefs durch ihren Regierungssprecher abwehren ließ, wissen wir, dass sie Tiervergleiche nicht mag. Auf die Frage, wo man sie eigentlich wirklich und zuverlässig antrifft, könnte Merkel auch sagen: Alles ist relativ. Ja nach Luftfeuchtigkeit und Temperatur, je nach Tages- oder Nachtzeit wechseln meine Positionen – alles ist Physik.
Merkel weiß, warum sie das einsetzt, was man «das Schweigen der Kanzlerin» nennen könnte. Auch Antworten, die mehr Fragen öffnen als gestellt wurden, sind Varianten des Schweigens. Das Schweigen der Kanzlerin ist eine der unvergesslichen Lektionen aus ihrer ersten Lehrzeit, jener in der Diktatur, wo Sich-unkenntlich-Machen, schwer lesbar sein, am besten ein unbeschriebenes Blatt, die beste Strategie war. Strategien der Ohnmacht, die für den Tag X die ideale Disposition für den Aufbruch in Richtung Macht brachten.
Das Schweigen der Mächtigen, auch das hatte Angela Merkel in den ersten Kapiteln ihres Lebens gelernt, verdichtete die Abhängigkeit der Regierten. Wer dabei bleiben will mit einem Amt, sollte Fragen verschlucken – und die Faust auf keinen Fall aus der Tasche nehmen.
Die Schweigerin würde einfacher argumentieren:Wie kann ich wissen, wo ihr mich morgen antrefft? Was ich heute sage, könnte über Nacht falsch werden, alles ist relativ. Das gilt auch für ethische Positionen; Moral ist Manövriermasse, würde sie denen sagen, die insistieren: Aber irgendetwas müsse es doch geben, was immer gilt.
Ob mit oder ohne Faust in der Tasche: Auch die Rivalen fahren nach der Wahl 2009 ihren Kurs weiter – und einer wie Roland Koch weiß, was Christian Wulff schon seit dem ersten Auftritt der neuen Chefin praktiziert hat, ist auch für ihn, Koch, «alternativlos»: Anerkennung für die Kanzlerin. Deren politische Lieblingsvokabel «alternativlos» benutzt Koch denn auch in der streitigen Debatte Anfang Januar 2010. «In einer großen Volkspartei ist der Führungsstil, den Angela Merkel pflegt, alternativlos», teilt Koch mit. Und der mit neuer Hoffnung aufgeladene Rivale fährt mit einem Verbot fort, das seine Ambitionen umso klarer offenlegt: «An einem gibt es nämlich keinen Zweifel: Die CDU in Deutschland steht hinter Angela Merkel, und keiner in der Parteiführung wirdzulassen, dass eine Debatte über unsere Parteivorsitzende losgetreten wird» – womit sie dann schon fast losgetreten ist. 128
«Mehr CDU pur» forderte auch Peter Müller aus dem Saarland. Koch und Müller haben bald nach der
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