Die Patin
für die Machtgeschichte der Angela Merkel. 55
Merkels Politik ist nicht Sachpolitik, sondern Machtpolitik. Machtpolitik muss eindeutige, schlichte Bilder liefern, wie sie schon vor der Wahl 2009 beginnen, den Auftritt der Merkel-Partei zu bestimmen: eindeutige Bilder, denen in Augenblicken großer Entscheidungen keine Partei widersprechen möchte. Dass es so kommen wird, denkt vor dem ersehntenSieg 2009 noch keiner in der CDU – oder ein paar von den Leuten mit der Faust in der Tasche? Eine Partei, die aufhört sich in der Sache zu unterscheiden, muss unser Misstrauen auf sich ziehen: Es könnte sein, dass sie den Wettbewerb ersticken will. Es könnte sein, dass sie alle andern unter ihre soften Flügel saugen möchte: menschliche Marktwirtschaft der Mitte. Aber wer siegen will, schiebt allen Argwohn auf später auf. Die Kombination, in der die Kanzlerin der Großen Koalition sich der kleinen näherte, erinnerte doch noch an die liberale Begleitmelodie der früheren CDU-Jahre; also waren die meisten am Machthunger beteiligten Sieger von morgen mehrfach motiviert für eine günstige Prognose.
Niemandem fiel in den Monaten vor der Wahl 2009 auf, dass die Kanzlerin schon vor dem Koalitionsstart, den jeder für logisch hielt, eine Absicht, mit der FDP zu regieren, erst sehr spät und ganz verhalten einfließen ließ. Wer das bemerkte, sah die neuen Puzzlestücke einer nach allen Seiten offenen Kanzlerschaft schon zusammenrücken: Der verhuschte, fast vertuschte Abschied vom designierten Finanzminister Kirchhof, der dem liberalen Spektrum zugeordnet werden konnte, war schon symptomatisch. Jeder abhängige Merkel-Anhänger konnte hier den kalten Hauch der Macht schmecken.
Was die Wähler und Mitglieder der CDU als eine Weiterführung der Kanzlerschaft mit Qualitätsverbesserung – ‹natürlicher› Partner – für den Herbst 2009 voraussahen, hatte für die Kanzlerin selbst schon ganz andere Konturen. Eine neue und mächtigere Etappe ihrer Kanzlerschaft rückte heran. Die Kombination mit den Liberalen, die von einem Allzeithoch berauscht mit mehr als 14 Prozent zum Wahlerfolg von CDU und CSU beitrugen, war in den Augen der Kanzlerin schon zum Zeitpunkt der Wahlen kein Sachprojekt mehr, da sie sich nach ihrer Thementestfahrt im Garten der CDU von Sachpolitik verabschiedet hatte. Der geplante Machtzuwachs in den nächsten Jahren würde über Ankündigungs- und Symbolpolitik laufen, das muss der Kanzlerin schon am Wahlabend klar gewesen sein.
Schon ein Jahr vor der Wahl, die Schwarz-Gelb an die Macht bringt, mehren sich die Zeichen, dass die Kanzlerin auf die Krise mit zunehmender Handlungsscheu antworten wird. Wassich in der Euro-Krise noch verschärfen wird, beginnt schon 2008: Die Krise, das sind die andern. «Die Krise wird zur Lizenz für politische Passivität», schreibt Die Zeit am 27. November 2008. Die Kanzlerin muss ihre Richtlinienkompetenz ohnehin nicht wahrnehmen; was sie nach außen sagt, trägt die Handschrift des Finanzministers.
Die Große Koalition erweist sich auf den letzten Metern vor der Wahl als ein Glücksfall für die themenscheue Kanzlerin. Eine wachsende Selbstsicherheit der Deutschen scheint sich abzuzeichnen. Bevor die Freien Demokraten mit Themen auftreten, die in der Arbeitsteilung vor der Wahl abgestimmt wurden – Steuersenkungen zum Beispiel –, entwickelt die Regierungspartei CDU unter Merkel eine optimistische Selbstbeschreibung von ihrer Garantieleistung ‹in der Mitte›. Die deutsche Regierung übt sich ein in eine Botschaft, die ihre Mitverantwortung für die europäische Krise kleinhalten soll: Stabilitätsanker wolle das Land sein, Bremser im Schuldensog.
So wenig politisches Handeln wie möglich, scheint die Devise für die Zeit nach dem Wahlsieg zu sein. Die ‹menschliche Marktwirtschaft› ist zugunsten der ‹Mitte› aus dem Wortbaukasten verschwunden. Der Markt, auf dem sich die erste, fast möchte man sagen ‹Alleinregierung› der Kanzlerin Merkel bewegt, ist eine Ankündigungsbühne, auf der sich niemand festlegt. Keine falsche Bewegung, wird das Motto dieser Regentschaft für die nächsten Jahre heißen. Denn die Überraschungscoups, die ganz großen Machtschübe hat sich die Kanzlerin vorbehalten, aber davon weiß am Wahlabend 2009 noch niemand etwas.
Die Zeit des ‹Durchregierens› beginnt für Angela Merkel. Ihre Geringschätzung des kleinen Koalitionspartners, der mit Siebenmeilenstiefeln zugestiegen ist und dabei tonnenweise Selbstwertgefühle getankt
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