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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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hat, kommt mit einer Verspätung bei den Betroffenen an, wie es nach großen Triumphen üblich ist. «Wir haben es zu spät bemerkt», sagt der Generalsekretär Lindner selbstkritisch nach mehr als einem Jahr.
    Welches Ziel verfolgt die Kanzlerin mit der unerwarteten und quasi geheimen Entmachtung der Liberalen? War sie nicht selbst einmal eine Verfechterin liberaler Positionen, die ihre Kritiker sogar mit der Verdachtsvokabel ‹neoliberal› belegten? Die ‹Mitte›, wie sie die Kanzlerinfährt, schließt liberale Positionen nicht ein, sondern aus. Sie lässt auch das Konservative draußen. Merkel hütet sich, Genaueres zur Definition der ‹Mitte› zu sagen. Die Formel blockt Wertediskussionen ab und lässt nach allen Seiten Spielraum für Annäherungen und – Merkels Spezialität – für Enteignungen politischer Konzepte aus allen Lagern. Merkel ist eine Schweigerin, und sie genießt es, dem Irrtum Nahrung zu geben, das Schweigen sei Führungsvakuum. Wer sie beim zehnjährigen – nein noch nicht – ‹Thronjubiläum› der Führungsschwäche verdächtigt, bekommt die ungerührte Antwort: «Man bekommt beim Schweigen ganz gut ein Maß für die Zeit.» 56 Ob das den Kunden ihrer Schweigerunden genauso ergeht, interessiert sie nicht.
    Was die Presse gelegentlich ‹Gelassenheit› nennt, kann in den Augen der Regierten wie Gleichgültigkeit wirken. Die Chefin fährt einen geräuscharmen Energiesparkurs. Wer sich aufregt, gehört nicht dorthin, wo sie sich aufhält: in die Mitte. Werte-Debatten sind von gestern. Die Herrin der führenden Partei lebt längst im postideologischen Zeitalter. Die magische ‹Mitte› erlaubt punktuelle Ausbrüche in alle politischen Lager, um Beute zu machen: Der Gral der Grünen, das Atomthema, konnte so im Überraschungsangriff zum Credo der Kanzlerin werden – nicht der CDU, die es mit Merkel teilen darf. Aber weitere Beutezüge im sozialdemokratischen Revier haben wie jener grüne Jagdtriumph der Chefin nur das eine Ziel: alle in einer ‹Mitte› zu versammeln, die nicht mehr Parteigelände ist, sondern Domäne der Kanzlerin. Sie nähert sich diesem Ziel mit verschiedenen Mitteln: Auch der Konflikt um den Euro wird, wie das Thema Energie, immer häufiger zum Gegenstand parteienübergreifender Jasager-Abstimmungen. Bis schließlich keiner mehr Lust auf eine eigene Meinung hat? Oder bis sich keine Partei mehr zutraut, ein eigenes Feld zu besetzen und dafür Wähler zu gewinnen?
    Schon fehlt der Mut bei den Experten, die überfällige Frage zu stellen: Wie kann die politische Führung vorgeben, die ‹Mitte› zu besetzen, während sie zugleich im demokratischen Abseits, mittels Gesetzesbrüchen und ökonomischem Kahlschlag die Zukunft des Landes und seinergroßmäuligen Klimaversprechen aufs Spiel setzt? Ist das die Politik der Mitte, auf die wir uns einstellen sollen? Etikettenschwindel also und illusionäre Wohlstandsvernichtung mit Staatsstreichcharakter?
    Die Illusion der ‹Mitte›, wie sie das Kanzleramt verbreitet, bündelt alle Signale, die nach ‹Maß und Mitte› klingen, also Heimatgefühle bei der CDU, Retro-Träume bei der nach links gerückten SPD, Aufwertungsphantasien bei den Grünen, Versöhnungsbereitschaft bei ein paar Linken. Nur die Liberalen sind mit ihrem Trauma beschäftigt, von der Chefin ausgetrickst und zu blauäugig gewesen zu sein, es rechtzeitig zu bemerken. Die Liberalen brauchen ihre Racheakte, um wieder an ihre Mission – mitten in den Bürgerfreiheiten, nicht in Merkels magischer Mitte – zu glauben. Ob die Liberalen sich erholen, wird der Maßstab sein, ob die enteignete Republik ihren Menschen zurückgegeben wird.
    40    Matthias Geyer, «Angela rennt», Der Spiegel 45, 2002, S. 50, auch Spiegel special 4, 2005, S. 30 unter dem Titel «Die Fremde».
    41    www.welt.de , 24. November 2008.
    42    www.spiegel.de , 7. Oktober 2002.
    43    www.spiegel.de , 7. Oktober 2002.
    44    www.spiegel.de , 2. Dezember 2002.
    45    Christine Eichel, zitiert in: Der Spiegel 32, 2004, S. 23.
    46    Ebenda.
    47    Ebenda, S. 25.
    48    1979 gründeten einige hoffnungsvolle Mitglieder der Jungen Union den Andenpakt. Der Männerbund blieb mehr als zwanzig Jahre geheim, die Mitglieder schworen sich ewige Loyalität. Doch nun haben sich die Herren entzweit.
    49    Siehe S. 000.
    50    «Offener Brief» von Angela Merkel, zitiert in: Die Welt , 29. März 2003.
    51    Zur Vorgeschichte des FDP-Coups siehe S. 000.
    52    Vgl. Corinna

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