Die Patin
eigentlich ersehnten Machtübernahme der CDU 2009 die politische Bühne verlassen. Auf offener Bühne waren es kurz nach dem Wahlerfolg gleich drei Politiker aus dem Neuen Land Sachsen, die den Politikstil der Kanzlerin furchtlos kommentierten: Neben Steffen Flath waren es Arnold Vaatz, bekannt für sensible Führungskritik seit der Wende, und Meik Mohring, ehemals Pressesprecher von Ministerpräsident Althaus, ein junger Mann, der seine Karriere nicht bedingungslos auf Gefälligkeitsvoten für die Kanzlerin stützen will.
Dass eine deutliche Mehrheit der Merkel-Kritiker aus den neuen Ländern kommt, immerhin mit Plädoyers zum Erosionsprozess in der Volkspartei CDU, muss jeden überraschen, der verstehen will. Newcomer verteidigen eine Partei gegen die Absetzbewegungen ihrer Führungscrew von den Kernbotschaften, obwohl sie selbst noch nicht so lange dabei sind wie ihre Gegenredner, die karrieretaugliche Loyalitätsadressen abliefern. Newcomer sind, eigentlich, das Korrektiv, weil sie kompromisslos verteidigen, was sie als den Gegenentwurf zur Planwirtschaft der Güter, Werte und Gedanken erlebt haben. Wer sie schon länger hatte, die Freiheit des Handels mit Gütern, Werten und Gedanken, wird leichtsinnig bei der Verteidigung.
Wenige Tage nach den turbulenten Debatten der abgebrühten CDUler mit den wachsamen Neuen gibt es in jenem Januar 2010 einen Auftritt der Kanzlerin im Berliner Naturkundemuseum zum Auftakt des Internationalen Jahres der Biodiversität: «Wir brauchen eine Trendwende», so ihre Botschaft. «Wir brauchen sie jetzt – unmittelbar und nicht irgendwann.» 129 Es ging um Artenvielfalt, und nur einige ihrer Untergebenen, denen der Humor noch nicht vergangen war, konnten den ironischen Bezug zur Artenvielfalt im politischen Diskurs genießen.
Und doch: Es geht der Parteiführung auch um so etwas wie Artenvielfalt. Das bisher verdeckt gelaufene Projekt der Kanzlerin, Parteigrenzen niederzulegen und «Lager» durchlässig zu machen, wird zum offiziellen Marketingkonzept der CDU. Es geht um Themenmix, Wählermix und Machtgewinn: Schon in der Großen Koalition hatte die Kanzlerin begonnen, Themen des politischen Gegners, der mitregierte, im Erfolgsfall als CDU-Angebote zu verkaufen. Anfang 2010 wird die Botschaft deutlicher: Die konservativen CDU-Wähler, so lässt die Führung sich von Wahlforschern bescheinigen, seien von nun an eher als Randfiguren zu verstehen. Die «Berliner Erklärung» aus dem Januar 2010 liefert auch eine erste, damals von niemandem ernstgenommene Erklärung für den Zermürbungskampf gegen den liberalen Regierungspartner, der noch wenige Monate zuvor als Wunschpartner genannt und von überzeugten Wählern aller Lager und Parteien der CDU an die Seite gestellt wurde. Nur wenige Monate liegt der Wahlerfolg zurück, bei dem die CDU mit ihren 33,8 Prozent nur deshalb zur Wahlsiegerin werden konnte, weil die FDP auch viele CDU-Wähler, die einen Kurswechsel wollten, in die Regierung brachte. Ebenfalls nur wenige Wochen liegt der auffallend eilig ausgehandelte Koalitionsvertrag zurück, mit dem beide Parteien eine vierjährige Zusammenarbeit festlegten.
In diesem Vertrag stand sicher nicht als eine der eiligen Prioritäten der Führungsauftrag, der im Januar 2010 die «Berliner Erklärung» eröffnet: FDP-Wähler zurückholen, lautet das Kommando. Und die Begründung überrascht: «Dabei spielt unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik eine besonders wichtige Rolle», teilt der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der FAZ mit. 130
Warum wunderte sich niemand? Da hat man die Wirtschafts- und Finanzkompetenz der FDP an Bord und distanziert sich als Erstes von der Kernkompetenz des politischen Wunschpartners. Nicht erst im Jahr 2012, sondern ebenfalls bald nach der Wahl 2009 wird klar, dass die CDU auch das Credo der FDP, ein neues Steuerkonzept, zu blockieren gedenkt. Die Innovation des Steuersystems war in den erstenWendejahren auch ein Thema der Vorsitzenden, mit dem sie den Themenpark der CDU bereist hat. Nicht nur der später geflohene Fraktionschef Friedrich Merz durfte sein Konzept vorzeigen, auch die Entscheidung der Wahlkämpferin Merkel für den Steuerspezialisten Kirchhof wies in diese Richtung. Der Spott aus dem SPD-Lager, das sie auch weiterhin für Themenund Wählermix brauchte, reichte aus, um das Steuerthema mitsamt dem Kandidaten verschwinden zu lassen.
Entmachtung von Parteien durch das Absaugen von Kernthemen ist auch die Essenz der «Berliner Erklärung». Auf Platz
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