Die Patin
Schwanz.
»Nichts anfassen, Karsta«, sagte Frauke. »Die Katzen können Krankheiten übertragen.«
»Außerdem braucht er seinen Schwanz noch«, sagte ich und befreite den Kater aus Karstas kleinen, wurstigen Fingern.
»Niekchekakche! Kachka chkreicheln!«, schrie Karsta mich empört an, wobei sich der Schnuller wild auf und ab bewegte.
»Nikch ga«, sagte ich.
Sabine hatte in der Zwischenzeit weiter an Mimis Tränenfluss gearbeitet. Sie schien genau zu wissen, wie sie den Hahn aufdrehen musste. Jetzt streichelte sie über Mimis Haar. »Und es gab vorher wirklich keinerlei Anzeichen? Man sollte doch denken, dass eine gute Hebamme etwas gemerkt hätte, nicht wahr?«
Mimi konnte nur schluchzen.
»Diese Anne Köhler hat in unseren Kreisen keinen besonders guten Ruf wenn ich das mal sagen darf« Frauke legte sich die Hand auf ihren Bauch. Jetzt erst sah ich, dass sich auf ihrem Bauch in silbernen Buchstaben die Frage Boy or Girl? spannte. »Wir von der Mütter-Society haben eine Liste mit den besten Hebammen der Stadt zusammengestellt, die wir Ihnen gerne fürs nächste Mal zur Verfügung stellen.«
»Falls du noch mal schwanger wirst«, ergänzte Sabine und streichelte Mimi weiter über das Haar. »Das ist ja nicht mehr selbstverständlich in deinem Alter. Kein Wunder, dass du Depressionen hast, Süße. Und der arme, arme Ronnie. Er wäre sicher ein wunderbarer Vater geworden.«
Tätschel, Tätschel, schluchz, schluchz, es war nicht zum Aushalten.
»Als Mutter kann ich mich so gut in Sie hineinfühlen«, sagte Frauke und setzte sich auf Mimis andere Seite. »Ich selber bin ja Gott sei Dank bisher von einer Fehlgeburt verschont geblieben, aber man hört ja doch immer häufiger davon. Selbst in meinem Freundeskreis ist es schon vorgekommen.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause, in der man nur Mimis Schluchzen hörte, und setzte betreten hinzu: »Besonders hart trifft es einen natürlich, wenn man überhaupt noch kein Kind ausgetragen hat.«
»Oh ja«, sagte Sabine und zog die schnullernde Karsta an sich. »Da stellt man sich als Frau komplett infrage, könnte ich mir vorstellen. Es ist ja nun mal das Privileg unseres Geschlechtes, Kinder austragen zu dürfen.«
Mimi hatte sich in eine Art lebendigen Zimmerbrunnen verwandelt. Ihre Tränen sprudelten so spektakulär, dass Karsta sie verwundert anschaute.
Frauke legte ihr mitfühlend die Hand aufs Knie. »So eine Geburt ist wirklich ein wunderbares Erlebnis«, sagte sie. »Jede Frau müsste das Glück haben, so eine Erfahrung machen zu dürfen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie sich vom Schicksal benachteiligt fühlen müssen.«
Dafür, dass sie nicht wussten, was sie sagen sollten, redeten sie ziemlich viel, fand ich. Ich hätte vertretungsweise sehr gern mit Gegenständen nach ihnen geworfen. Mit harten und spitzen Gegenständen. Aber die Messer waren alle in der Küche.
Ich beschloss, einen letzten Versuch zu starten, Frauke und Sabine loszuwerden, bevor sie Mimi endgültig in die Klapsmühle trieben.
»Nett, dass ihr gekommen seid und lauter so weise und tröstliche Sachen gesagt habt«, sagte ich und wedelte mit den Nelken Richtung Ausgang. »Aber Mimi muss sich jetzt wirklich wieder hinlegen.«
Mimi rang zwischen zwei Schluchzern nach Luft. Da Sabine und Frauke ihr schon mindestens fünf Sekunden lang nicht mehr gesagt hatten, wie furchtbar sie sich doch fühlen müsse, bekam sie allmählich wieder Kontrolle über sich.
»Wir bleiben nicht lange«, sagte Frauke. »Wir haben ja alle familiäre Verpflichtungen. Aber wir wollten Ihnen unsere gesammelten Tipps und Erfahrungsberichte zum Thema Fruchtbarkeit und Schwangerschaft nicht vorenthalten.« Sie überreichte Mimi feierlich einen blauen Schnellhefter, den sie mit einer Schleife umwickelt hatte. Dabei lächelte sie wie ein Honigkuchenpferd. »Es sieht noch ein bisschen improvisiert aus, aber bald wird es diese Mappe auch in Buchform geben. Wir von der Mütter-Society haben ja bereits ein Kochbuch herausgegeben, das ein Riesenerfolg war. Und es ist uns eine Freude, Ihnen sozusagen den Bruttotypen unseres Buches überreichen zu können.«
»Prototypen meinst du wohl«, sagte Sabine. »Denk dran, wir müssen unseren Kindern immer ein Vorbild sein, gerade in sprachlicher Hinsicht.«
Mimi drückte den blauen Schnellhefter an ihre Brust. »Danke«, schniefte sie.
»Ja, vielen Dank, das wird sicher ihre neue Bibel werden«, sagte ich.
Karsta versuchte, die Katzen unter dem Sofa hervorzulocken.
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