Die Patin
»Constanze denkt wie ich, Lorenz: Wir sind eine große Familie und halten zusammen. Gewöhn dich besser daran.«
*
»Ich werde auf keinen Fall jedes Wochenende bei Papa rumhängen und babysitten«, sagte Nelly. »Das könnt ihr euch schon mal abschminken.«
»Kein vernünftiger Mensch will dich als Babysitter«, sagte ich. »Und jetzt tu mir einen Gefallen und benimm dich.« Wir standen nämlich vor Antons Haus und warteten darauf, dass jemand uns die Tür öffnete. Ich war ein bisschen erstaunt, dass Antons Haus so bescheiden war. Zu seiner Uhr und dem Jaguar hätte wohl eher eine Villa mit kilometerlanger Auffahrt und schmiedeeisernem Tor gepasst. Aber das hier war ein simples zweieinhalbstöckiges Reihenendhaus mit rotem Klinker und weißen Fenstern, wie es in diesem Stadtteil viele gab.
Emily öffnete uns die Tür. Sie war als Erdbeere verkleidet und sah supersüß aus mit diesem Blättermützchen auf dem Kopf»Hallo Emily«, sagte ich.
Emily sagte nichts. Sie machte grußlos auf dem Absatz kehrt.
»Immerhin hat sie die Tür nicht wieder zugemacht«, sagte ich.
»Was für ein Früchtchen«, sagte Nelly und sah sich neugierig um. »Ich muss sagen, ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hätte gedacht, dass Armani-Anton mindestens in einem Schloss wohnt und einen Butler hat.«
»Tja«, sagte ich, während ich meine Augen durch den Flur und das Treppenhaus schweifen ließ. »So kann man sich täuschen. Allerdings könnte das da ein echter Klee sein.«
»Nein, das ist leider ein Druck«, sagte Anton, der zusammen mit dem Geruch von scharf Angebratenem aus einer Tür gekommen war. »Schön, dass ihr da seid. Habt ihr einen Parkplatz gefunden? Das ist hier manchmal schwierig.«
»Nicht für Fahrräder«, sagte Nelly ein bisschen griesgrämig. Sie hätte gerne Ronnies Angebot angenommen, uns mit dem Auto mitzunehmen, aber Julius hatte darauf bestanden, dass wir mit dem Fahrrad fuhren.
»Ach ja, ich vergesse immer, dass du nicht Auto fährst«, sagte Anton.
Ich lächelte ihn nervös an. Er war immer noch ohne Krawatte. Dafür aber mit Schürze. Auf der Schürze stand: »Daddy's cooking«.
»Kommt durch«, sagte er. »Die anderen sind schon alle da.« Er führte uns in eine geräumige Wohnküche. Hier sah es schon eher so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte: blitzender Edelstahl kombiniert mit sparsam eingesetzten Akzenten aus poliertem dunklen Holz, ein riesiger moderner Gasherd, auf dem ein Wok und mehrere Kochtöpfe standen, an der gegenüberliegenden Wand ein silberglänzendes Monstrum von einem Kühlschrank, eines dieser amerikanischen Superteile, die kühlen, gefrieren, Eis crushen, massieren und Filme entwickeln können. Um einen riesigen Refektoriumstisch saßen die anderen Gäste: Mimi und Ronnie, daneben eine Frau, in der ich die Sekretärin aus AntonsKanzlei wiedererkannte, ein dicklicher älterer Mann mit Brille und ein sehr muskulöser, braun gebrannter junger Mann, dem sonnengebleichte Haare in die Augen fielen. Daneben saß Trudi, die ein leuchtend orangefarbenes, tief ausgeschnittenes Sackgewand trug, das noch aus ihrer Bhagwan-Phase stammte (damals hatte sie ein paar Monate lang Hasch-krk-irgendwas geheißen, mit Vor- und mit Nachnamen), und dazu ein Stirnband, in das mit korallenroten Perlen das Wort »Peace« eingestickt war. Neben Trudi saß ein modisch gekleideter Mann mit Bart und kurz rasierter Stoppelfrisur. Am Kopfende des Tisches thronte die Erdbeere auf einem Kinderstuhl. Ich bemerkte, dass ich schwitzige Hände bekam, als Anton den Arm um mich legte.
»Für alle, die sie noch nicht kennen: Das ist Constanze Bauer«, sagte Anton. »Und das sind Nelly und Julius.«
»Wischnewski«, sagte Nelly. Sie betonte gerne, dass sie einen anderen Nachnamen hatte als ich. Julius klammerte sich wieder mal an meinen Beinen fest.
Anton zeigte auf den dicklichen Mann mit Brille. »Das ist mein Freund und Partner Elmar Janssen, der beste Wirtschaftsjurist Deutschlands, und das ist Annelene Möller, die du ja bereits kennst.« Annelene Möller war die Sekretärin der Kanzlei, die ich der Einfachheit halber immer die Wurzelholzbrille nannte, wegen ihrer etwas eigenwilligen Sehhilfe. Die Wurzelholzbrille und Elmar Janssen lächelten beide freundlich, als ich ihnen die Hand gab.
»Das ist mein Bruder, Johannes Alsleben«, fuhr Anton fort und zeigte auf den blonden Sportlertyp. »Er ist gerade aus Südafrika zurückgekommen.«
»Oh«, sagte ich. »Vom Surfen?«
Johannes nickte grinsend,
Weitere Kostenlose Bücher