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Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sie, »dann nehme ich dieses Problem wohl kaum mit in die nächste Beziehung, wenn ich dann eine autarke Vollwaise heirate, oder?«
    Ronnie sagte daraufhin, Mimi müsse dringend ihr Problem mit menschlicher Nähe überdenken, denn nicht jeder Mann, der ab und an mit seiner Mutter kommuniziere, sei deshalb gleich ein weinerliches Muttersöhnchen. »Nur so zum Beispiel«, setzte er hinzu.
    Da vergaß Mimi, dass sie nur über Beispiele redeten, und sagte: »Du bist aber ein weinerliches Muttersöhnchen, mein Lieber.«
    Anton konnte eine Eskalation des Gespräches gerade noch verhindern, indem er den Nachtisch servierte.
    Und direkt danach servierte er mir seine Überraschung: ein Päckchen in grünem Papier und blauer Schleife.
    »Ein Geschenk?«, fragte ich ziemlich einfallslos. »Für mich?«
    »Mach auf!« Anton sah mich erwartungsvoll an.
    Also wickelte ich die Schleife und das Papier ab. »Ein Schachspiel!«,rief ich aus. Ich hoffte, dass man mir mein Entsetzen nicht anhörte.
    »Die schwarzen Figuren sind aus Nussbaum, die weißen aus Esche. Handarbeit.« Anton lächelte froh auf mich herunter. »Du hattest doch gesagt, dass du kein Spiel mehr hast.«
    »Ach ja, stimmt«, sagte ich. »Wie nett von dir. Vielen Dank.«
    Ich sah nicht hin, aber ich spürte genau Nellys schadenfrohe Blicke in meinem Rücken.
    »Das ist aber noch nicht alles«, sagte Anton und lächelte noch breiter. »Hier sitzt auch gleich ein adäquater Spielpartner für dich! Mein kluges Brüderchen hat zwar keine Meistertitel, aber er ist wirklich ganz toll im Schach. Unser Großonkel hat es ihm beigebracht, und der hat sogar mal ein Remis gegen Großmeister Bronstein gespielt, stimmt's, Johannes?«
    »Ja, Onkel Kurt war große Klasse«, sagte Johannes. »Das heißt aber nicht, dass ich das auch bin. Ich musste nur als Sparringspartner herhalten: Damals gab's noch keine Computerprogramme, an denen Onkel Kurt die Réti-Eröffnung und die Slawische Verteidigung ausprobieren konnte. Das meiste habe ich schon wieder vergessen.«
    Mir war inzwischen der Schweiß ausgebrochen.
    »Sei nicht so bescheiden, Johannes«, sagte Anton. »Du bist der Beste von uns allen. Und Constanze hat auch schon eine Ewigkeit nicht mehr gespielt.«
    Womit er Recht hatte. Genau genommen nur in jenem einen Sommer, in dem ich mir das Bein gebrochen hatte und mich schrecklich langweilte. Mein Vater hatte mir das Schachspielen beigebracht, unter dem Apfelbaum im Garten, aber so richtig hatte das gegen die Langeweile auch nicht geholfen, soweit ich mich erinnern konnte. Wie war das noch? Die Springer hatten Pferdeköpfe und konnten so komisch über Eck ziehen, die Läufer nur diagonal, der Turm gerade, die Dame in alle Richtungen, während der König nur kleine Trippelschrittchen unternehmen durfte. Und wenn er am Ende nirgendwo mehr hintrippeln konnte, war manSchachmatt. Was manchmal überraschend schnell ging. Und dann gab es noch einen Haufen Bauern, die im Weg rumstanden.
    »Okay, dann ...«Johannes erhob sich und sah mich aufmunternd an: »Wie wär's, Constanze? Sollen wir nebenan ein Spiel wagen?«
    »Ja, warum nicht?«, sagte ich mit trockenem Mund. Das war nämlich genau, was ich gerade dachte: Warum nicht? Warum nicht? Warum nicht? Lass dir etwas einfallen, warum nicht!!!!! »Obwohl es schon spät ist und Julius morgen in den Kindergarten muss«, setzte ich hinzu.
    »Es ist erst acht«, sagte Anton. »Lass ihn noch ein bisschen mit Emily spielen.«
    Und Emily, als ob sie's ahnte, sagte mit zuckersüßer Stimme: »Soll ich dir mal mein Zimmer zeigen, Julius?« Da hätte ich schon stutzig werden müssen.
    Ich sah mich Hilfe suchend um, aber keiner bemerkte meine Notlage. Elmar, Ronnie, Mimi und die Wurzelholzbrille waren wieder in eine Diskussion über Scheidungsgründe vertieft, und Trudi und Peter befummelten einander ziemlich offen oberhalb und unterhalb der Tischplatte. Die Einzige, die merkte, in welcher Misere ich steckte, war Nelly. Und die legte den Kopf schief und sagte langsam und genüsslich: »Während ihr spielt, kann ich ja Anton helfen, den Tisch abzuräumen.«
    »Das ist aber nett von dir«, sagte Anton.
    »Keine Ursache.« Nelly zwinkerte mir zu.
    »Auch du, Brutus«, murmelte ich.
    Antons Wohnzimmer war klein, hier gab es nur eine kleine Sofaecke mit niedrigem Tischchen und ein deckenhohes Bücherregal, in dem auch der Fernseher stand.
    Das Schachspiel war eine bildschöne, fein geschnitzte Ausführung, das Brett mit Intarsien gearbeitet; sicher hatte es

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