Die Patin
Anton.
Emily funkelte mich böse an. Ich verstaute die Schachtel mit dem Schachspiel in meiner Handtasche und ärgerte mich über mich selbst. Jetzt küsste ich Anton schon nur, um einem sechsjährigen Kind etwas zu beweisen. Wie kindisch! Mein Blick fiel auf ein kleines Päckchen, das in meiner Handtasche steckte.
»Das hatte ich ja ganz vergessen«, sagte ich und nahm es heraus. »Ich hatte dir doch ein Geschenk mitgebracht, Emily.«
Emily rührte sich nicht.
»Wie nett«, sagte Anton an ihrer Stelle.
»Keine Angst, es ist nicht vergiftet«, sagte Nelly zu Emily.
Anton nahm das Päckchen und reichte es an Emily weiter.
»Es ist nichts Besonderes«, sagte ich. »Nur ein Kleid für deine Barbie, das ich heute Nachmittag aus Stoffresten genäht habe.« Genauer gesagt, aus den alten Schlafzimmervorhängen meiner Schwiegermutter. Als Vorhänge waren sie ein Albtraum gewesen, moosgrün mit eingewebten goldenen Schnörkeln. Aber als Ballkleid für eine Barbiepuppe machten sie sich wirklich prächtig. Ich hatte ein enges Mieder mit Puffärmeln gearbeitet, an das sich ein weiter, glockiger Rock anschloss. Ich wusste, dass es gut aussah, obwohl Emily natürlich nichts sagte, als sie es auspackte.
»Ich hoffe, die Barbies von heute haben immer noch dieselbenMaße wie Nellys Barbies damals«, sagte ich. (»Damals« war gut, eigentlich hatte Nelly noch bis vor einem Jahr mit den Barbies gespielt, wenn sie niemand dabei beobachtete, aber das muss natürlich unter uns bleiben.)
»Also, ich finde das Kleid toll«, sagte Anton und legte die Hände auf Emilys Schultern.
»Aber Emily hätte lieber Kinder-Schoko-Bons gehabt, glaube ich«, sagte Nelly.
»Ein ganz tolles Kleid«, sagte Anton wieder. Emily sagte immer noch nichts, obwohl ich ziemlich sicher war, dass Anton sie gerade in die Schultern kniff.
Ich wanderte mit Julius am Bauch durch den Raum, um mich von allen zu verabschieden.
»Der hast du's aber gegeben«, flüsterte Nelly mir zu. »Du musstest sie ja nicht auch noch für diese Aktion belohnen, oder? Schleimscheißerin.«
»Sie ist doch erst sechs«, flüsterte ich zurück.
»Wie schade, dass ihr schon gehen müsst«, sagte Mimi. »Ich hatte Anton gerade überredet, einen kostbaren alten Cognac zu öffnen. Schmeckt wie Hustensaft, aber man ist nach drei Schlucken stockbesoffen. Nichts gegen den Wein, den wir bisher getrunken haben, Anton, aber die Flaschen sind alle leer, und ich lalle leider immer noch nicht.«
»Du solltest nicht zu viel trinken«, sagte Ronnie.
»Ooooooh, ja«, rief Trudi aus der Küche.
Ich warf Anton einen fragenden Blick zu, aber er hatte nur Augen für Ronnie und Mimi.
»Und warum nicht? Weil deine Mami es nicht mag, wenn Frauen etwas anderes trinken als ein kleines Eierlikörchen nach dem Sonntagskuchen?«, fragte Mimi. »Falls du es vergessen hast, Ronnie: Ich bin nicht schwanger. Ich kann trinken, so viel ich will.«
»Super, dein Chef wird sich freuen, wenn sein bester Senior Consulter als Alkoholikerin wieder kommt«, sagte Ronnie. »Besoffen lässt du dich bestimmt auch besser begrabschen.«
»Mein lieber Ronnie, nur weil mein Chef mich attraktiv findet, begrabscht er mich noch lange nicht«, sagte Mimi. »Aber gut, dass wir es mal ansprechen: Ich dachte schon, du hättest andere Gründe als Eifersucht, mir auszureden, wieder arbeiten zu gehen.«
»Habe ich ja auch«, sagte Ronnie heftig. »Ich finde es einfach zu früh!«
»Zu früh bezogen auf was?«
»Das weißt du ganz genau!«
»Ja, ja!«, rief Trudi nebenan. Ich fasste es einfach nicht. Diese Frau war wirklich unmöglich! Man hörte, wie etwas mit lautem Getöse auf den Fußboden fiel. Meine Güte, jetzt war Trudi wahrscheinlich vom Küchentisch gefallen. Allerdings schien sie sich nicht wehgetan zu haben. Man hörte sie jedenfalls atemlos lachen und dann verzückt aufkreischen. Elmar und die Wurzelholzbrille sahen peinlich berührt aus.
Ich stieß einen genervten Seufzer aus.
»Soll ich ...?«, fragte Nelly und zeigte Richtung Küche.
»Untersteh dich«, sagte ich. Nichts gegen gründliche Aufklärung, aber so gründlich musste sie ja dann auch schon wieder nicht sein.
»Was machen die orange Frau und der andere Mann denn in der Küche?«, wollte Emily von Anton wissen.
»Ich hoffe nicht das, wonach es sich anhört«, sagte Anton und sah mich dabei an. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Oh, das ist sooo gut«, quiekte Trudi nebenan.
Johannes grinste. »Hört sich an, als würden sie die Reste
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