Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel

Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
die Silbersaiten schienen unversehrt. Behutsam fuhr sie mit den Fingern über die seltsamen Schnitzereien, die zehn runenähnlichen Verzierungen, die niemand zu lesen vermochte und Maerad mittlerweile so vertraut waren wie die eigene Haut. Schließlich zog sie die Hand über die Saiten, auf dass ein Akkord durch die Hütte schallte. Lächelnd schaute Maerad auf und sah überrascht, dass Mirka sie voll Grauen anstarrte. »Was ist das?«, fragte sie. »Was ist dieses Ding?«
    »Das?« Maerad hob das Instrument an, damit Mirka es besser erkennen konnte, doch die alte Frau zuckte davor zurück. »Das ist nur meine Leier. Meine Mutter hat sie mir geschenkt, und sie hatte sie davor von ihrer Mutter bekommen, und so weiter durch das Haus Kam. Hast du noch nie eine gesehen?«
    »Das ist ein zu großes Ding für dieses Haus.« Mirkas Züge wirkten grau vor Furcht. »Es hat zu viel Gram gesehen, ja, es hat gesehen, wie die Welt zerrissen wurde, der Mond ist schwarz darin. Pack es weg!« Mirka bedeckte mit den Händen die Augen und stimmte mit zitterndem Kiefer auf Pilanel einen Sprechgesang an.
    Verdutzt blickte Maerad auf ihre schlichte Leier hinab, dann begann sie langsam, das Instrument in der Hülle zu verstauen. Sie wusste, dass ihre Leier uralt war, gefertigt vom Volk der Dhyllin in der Blüte seiner Zivilisation, und dass sie zwar bescheiden aussehen mochte, aber ein uraltes und kostbares Werk eines meisterlichen Künstlers darstellte. Die wenigen Barden, die ihr Erbe kannten, hatten sich erstaunt, ja ehrfürchtig gezeigt, als sie die Leier sahen, aber noch nie hatte sich jemand wie Mirka verhalten. Maerad fühlte sich beunruhigt und enttäuscht; sie hungerte nach Musik. Inständig wünschte sie, Mirka wäre nicht so verschroben.
    Die alte Frau lugte zwischen den Fingern hindurch. Als sie sah, dass Maerad das Instrument weggepackt hatte, senkte sie die Hände und kicherte gackernd über Maerads mürrische Miene, als wäre alles nur ein großer Witz gewesen. »Habe ich dir Angst eingejagt, mein Küken?«
    Maerad erwiderte nichts. Sie fürchtete sich tatsächlich, obwohl sie Mirka eigentlich bloß für verrückt hielt.
    »Ich habe dir Angst eingejagt, was? Ich denke, du fürchtest dich noch nicht genug.« Wieder lachte Mirka.
    »Fürchten wovor?«, fragte Maerad. Vor allem, dachte sie müde bei sich. Oder vielleicht vor gar nichts. Sie wusste es nicht mehr.
    »Viele Dinge sind zum Fürchten«, erwiderte Mirka ausweichend. »Wird immer so sein. Ist schon immer so gewesen.«
    Maerad seufzte. Ihre Sehnsucht nach Musik quoll in ihr auf wie ein unbändiger Schmerz. »Vielleicht«, schlug sie vor, »könnten wir zusammen etwas singen. Ich kenne ein paar Lieder.«
    »Vielleicht kennst du nur zerbrochene Lieder«, entgegnete Mirka und musterte Maerad mit einem seltsam verschlagenen Blick.
    »Zerbrochene Lieder? Was soll das heißen?«
    Eine lange Weile antwortete Mirka nicht. Stattdessen presste sie die Augen zu und wiegte sich vor und zurück, als versuchte sie, etwas zu hören, das sich zu weit entfernt befand. Als sie die Augen wieder aufschlug, war der verschlagene Ausdruck verschwunden, und sie schien nur noch eine verwirrte alte Frau zu sein. »Ich weiß nicht, was das heißen soll«, sagte sie. »Du bist wie ein Traum über etwas, das mir bereits widerfahren ist… du mit diesem Ding, das du bei dir trägst. Ja, ein Traum, aber ob ein guter oder ein schlechter, das weiß ich nicht.«
    »Ich auch nicht«, murmelte Maerad betrübt. »Wohl eher ein schlechter, denke ich.«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer vermag es zu sagen? Es heißt, alle Rätsel werden von den Altweisen beantwortet.«
    »Den Altweisen?« Maerad fragte sich, ob dies ein weiteres Hirngespinst von Mirkas Einbildung war. Als sie aufschaute, stellte sie fest, dass die Greisin erneut in weiter Ferne zu weilen schien; ihre Augen wirkten ausdruckslos und entrückt.
    »Die Altweisen leben im Eis, fern im Norden, wo immer Nacht oder immer Tag ist.« Sie sprach mit so tonloser Stimme, dass Maerad Schauder über den Rücken liefen, und einen Lidschlag lang vermeinte sie, dass Mirkas Züge verschwammen und von einem anderen, viel jüngeren Gesicht ersetzt wurden. »Sie sind die Ältesten und erinnern sich an vieles, was in den Schwarzen Tagen verloren ging, als der böse Herrscher das Zepter schwang. Sie verstehen, was halb ist und was ganz, was geschaffen ist und was halb geschaffen.« Maerads Herz schlug ihr bis in den Hals; unwillkürlich musste sie an

Weitere Kostenlose Bücher