Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
falls Maerad es ihm nicht mehr selber sagen könnte - und falls ihn der Brief durch das vom Krieg zerrissene Land je erreichte. Sie versiegelte ihn mit Wachs, drückte ihre Pellinor-Brosche in das Siegel und richtete ihn an: Hem (Cai von Pellinor) über Saliman von Turbansk an der Schule von Turbansk in Suderain. Dann, besessen von einem Gefühl der Dringlichkeit, ging sie zu Sirkanas Gemächern und klopfte an die Tür.
Sirkana sah erschöpft aus, als sie öffnete. Maerad streckte ihr den Brief entgegen, erklärte rasch, für wen er war, und erkundigte sich, ob er so bald wie möglich abgeschickt werden könnte. Sirkana zog die Augenbrauen hoch, als sie ihn ergriff, und musterte Maerads angespannte Züge.
»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, ihn vor dem nächsten Sommer zu versenden«, meinte sie nüchtern. »Es gibt andere Pässe durch die Berge als den Gwalhain, und manchmal verkehren wir selbst im Winter nach Annar. Wenn dein Bruder sich in Turbansk aufhält, ist er sehr weit von hier entfernt, und die Straßen sind im Augenblick äußerst gefährlich, aber unser Volk kennt geheime Wege. Ich will mein Bestes versuchen.«
Sprachlos warf Maerad die Arme um Sirkanas Hals. Danach fühlte sie sich etwas besser und kehrte in ihre Kammer zurück.
Am nächsten Tag hatte der Sturm sich verzogen. Inzwischen weilte Maerad den vierten Tag in Murask, und sie brannte darauf, den Ort zu verlassen. Das klare Wetter erschien ihr wie ein Zeichen. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Hügel konnte sie die Fensterläden aufschwingen und frische Luft hereinlassen. Obwohl es nicht besonders früh war, herrschte draußen noch Dunkelheit; die Tage wurden bereits kürzer. Ein seltsam bläuliches, vom grellen Weiß des Schnees zurückgeworfenes Licht fiel in das Zimmer. Maerad sog die eisige Luft ein. Mit einem Gefühl der Unbeschwertheit, das sie seit Wochen nicht mehr verspürt hatte, begann sie, sich für die Reise anzukleiden.
Um Maerads Reisekluft hatte sich Dharin gekümmert, eine Aufgabe, an die er am Vortag mit äußerster Gewissenhaftigkeit herangegangen war. Sirkana hatte ihm die Schlüssel zum Kleiderlager gegeben, und er hatte Maerad durch eine Reihe von Räumen geführt, die sie zutiefst beeindruckt hatten - sie enthielten den gesamten Vorrat an Ersatzkleidern der Gemeinschaft, die an jeden ausgehändigt wurden, der sie dringend benötigte. In den Regalen stapelten sich Mützen, Stiefel, Wämser, Hosen, Kleider und Mäntel.
Dharin hatte schwere Pelzstiefel gewählt, die Maerad bis an die Knie reichten, und er hatte ihr gezeigt, wie man sich die Füße mit Stoffstreifen einwickelte, bevor man hineinschlüpfte; so schützte man sich besser vor Erfrierungen. Danach hatte er eingehend ihre mit Seide ausgekleideten Wollhandschuhe begutachtet, leicht die Stirn gerunzelt, ein Paar mit Fell gefütterte Fäustlinge herausgesucht und vorgeschlagen, sie sollte die Wollhandschuhe darunter tragen. »Kann ich nicht nur die Handschuhe tragen?«, hatte Maerad ihn gefragt. Mit so vielen Schichten an den Händen fühlte sie sich unbeholfen. »So kann ich gar nichts angreifen.«
»Ohne Finger kannst du noch viel weniger angreifen«, hatte Dharin in einem scharfen Tonfall entgegnet, den sie zuvor noch nie von ihm gehört hatte. »Glaub mir, Mara, dein schlimmster Feind da draußen ist die Kälte. Die kannst du mit der in Annar nicht vergleichen. Ich habe schon Erfrierungen gesehen. So etwas möchtest du bestimmt nicht erleiden.«
Also hatte Maerad sich gefügt und widerspruchslos zugesehen, wie der Kleiderhaufen anwuchs. Sie fand, dass all die Gewänder sehr schwer aussahen; fast alles war mit Pelz gefüttert. Danach gingen sie zurück in Maerads Kammer, wo Dharin ihre eigene Reisekluft in Augenschein nahm und vorschlug, sie sollte all ihre Kleider in mehreren Lagen anlegen. Ihre Lederhose bestand die Prüfung, allerdings forderte er sie auf, den Mantel wegzupacken; er würde ihr nichts nützen. Stattdessen gab er ihr ein dickes Wams und eine Hose, beides aus derselben weichen Wolle wie ihre Kleider. Uber all dem sollte sie einen knöchellangen, pelzgefütterten Ledermantel mit einer Kapuze tragen, die fast ihr ganzes Gesicht verdeckte. Er ließ sie alles anziehen und wartete derweil vor ihrer Kammer, danach begutachtete er sie peinlich genau. Er schob ihr die Kapuze tiefer ins Gesicht, sodass sie die Augen verhüllte. »So musst du sie lassen«, erklärte er. »Andernfalls erblindest du durch das ständige Starren in den grellen
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