Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Tatendrang.«
Als die Sonne dicht über dem Horizont hing, hielten sie für die Nacht an. Dharin schirrte die Hunde ab und fütterte sie, während Maerad aus ihren Vorräten eine Mahlzeit zubereitete. Anschließend schlug Dharin ein Zelt auf, ein findiges Gebilde aus biegsamen Weidenholzstöcken und geölten Häuten. Beim Auseinanderfalten schnappte es auf wundersame Weise auf und bildete ein kleines Zwei-Mann-Zelt mit einem festen, wasserdichten Boden. Es passte genau hinter den Schlitten, sodass die Häute herabgelassen und am Schlitten selbst verzurrt werden konnten. Dadurch entstanden zwei verschiedene Unterkünfte: ein sehr kleiner Platz, in dem Maerad und Dharin sitzen, essen und sich am Ofen wärmen konnten; und der Schlitten zum Schlafen. Maerad zeigte sich verzückt darüber und ließ Dharin das Zelt mehrmals öffnen und schließen, nur um zu sehen, wie es aufsprang. Dharin, der es selbst angefertigt hatte, tat ihr den Gefallen nur allzu gern. Maerad, die es gewohnt gewesen war, auf Reisen bei jedem Wetter unter freiem Himmel zu schlafen, empfand ein Zelt als geradezu verschwenderische Annehmlichkeit; doch Dharin lachte nur über diese Äußerung und meinte, dass im Norden ein Unterschlupf keine Annehmlichkeit sei, sondern eine Notwendigkeit, wenn sie morgens nicht als menschlicher Eisblock erwachen wollte.
Sie aßen die Abendmahlzeit draußen auf der Spitze des Schlittens und beobachteten, wie die Sonne hinter den Ebenen unterging, ein glühender Feuerball am orangefarbenen Himmel, der den Schnee in tiefgoldenes Licht tünchte.
»Das ist wunderschön«, meinte Maerad verträumt.
»Ja«, pflichtete Dharin ihr bei. »Allerdings gefährlich schön. Sobald wir Tlon hinter uns gelassen haben, gelangen wir ins richtige Winterland. Es ist einerseits unbeschreiblich schön, andererseits auch tödlich.«
»Warst du dort schon mal?«, erkundigte sich Maerad.
»Ein Mal. Ich reise viel und weit. Es widerstrebt mir, den ganzen Winter eingesperrt zu sein, zumal das die beste Reisezeit ist, wenngleich ich zum Mittwinterfest gerne in Murask bin. Zum ersten Mal war ich mit meinem Vater in Tlon, als ich zehn Jahre alt war. Er handelte in Fellen und anderen Dingen mit den nördlichen Klans. Und er war ein hervorragender Fahrer.«
»Das heißt, er lebt nicht mehr?« Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie zu Dharin und musterte dessen Züge.
»Höchstwahrscheinlich. Seit mittlerweile fünf Jahren ist er nicht mehr zurückgekehrt. Als er verschwand, war ich achtzehn und bereits ein Mann. Für meine Mutter war es ein schlimmer Schlag. Sie schloss sich einem anderen Klan an und reist nun jedes Jahr in den Süden. Dieses Jahr konnte sie nicht zurückkehren. Ich hatte gehofft, sie noch zu sehen, bevor ich aufbrach, aber ich konnte nicht.«
»Und hast du Brüder und Schwestern?«, fragte Maerad.
»Nein. Nach mir wurden meinen Eltern keine Kinder geboren. Meiner Mutter ging es nach meiner Geburt sehr schlecht; sie wäre dabei fast gestorben.« Eine Weile aßen sie schweigend. Maerad dachte dabei über Dharins Leben nach, das auf andere Weise ebenso rau wie das ihre zu sein schien; sie überlegte, ob sie ihm anvertrauen sollte, wer sie wirklich war. Irgendetwas allerdings ließ sie davon absehen; vermutlich vorwiegend der Gedanke, dass sie ihm dadurch unweigerlich gestehen musste, ihn zuvor getäuscht zu haben.
Obwohl Maerad nur Fahrgast war, fühlte sie sich unerklärlich erschöpft. Sobald es dunkel war, bereitete sie sich zum Schlafen vor. Dharin band die Hunde am Schlitten fest. Sie rollten sich ein, dass sie mit den Schnauzen die Schwänze berührten, und schliefen auf dem Schnee ein.
»Sollten wir Wache halten?«, fragte Maerad, die bereit war, die erste Schicht zu übernehmen. Dharin aber lachte nur.
»Bessere Wächter als diese Hunde gibt es nicht«, meinte er. »Sie erwachen, wenn sich im Umkreis von einer Wegstunde etwas regt. Ihr Gehör ist viel schärfer als das unsere.«
Wohl kaum, dachte Maerad eingedenk ihres Bardengehörs, doch sie erhob keine Einwände. Tatsächlich empfand sie die Vorstellung als erleichternd, eine ganze Nacht ungestört zu schlafen.
Zur Nachtruhe legten sie sich nebeneinander in den Schlitten. Unter gewöhnlichen Umständen hätte Maerad sich dabei unwohl gefühlt, doch Dharin betrachtete dies als so selbstverständlich, dass es auch Maerad nicht beunruhigte, zumal Dharin obendrein mit ihr verwandt war. Er bettete sich einfach zwischen die Felle, raunte »Schöne Träume vom Licht«
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