Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Dinge, die schlimme Folgen haben. Doch das bedeutet nicht, dass wir böse sind oder man uns danach nicht mehr vertrauen kann.«
Maerad erwiderte nichts, zumal sie glaubte, in haltlose Tränen ausbrechen zu müssen, sollte sie den Mund öffnen. Klug, wie Sirkana war, hatte sie erahnt, was sie quälte.
»Ich habe meinen Bruder geliebt«, fuhr Sirkana mit leiser Stimme fort. »Es war ein seltsamer Schock, dir zu begegnen, der Tochter meines Bruders. Wenn ich mich mit dir unterhalte, sehe ich sein Gesicht in dem deinen. Vieles an dir zeugt von ihm. Und er war der tapferste und ehrlichste Mann, den ich je gekannt habe.«
Nun begann Maerad endgültig zu weinen. Sirkana tätschelte ihr die Schulter, bis sie aufhörte und sich mit den Händen die Augen abwischte.
»Ich weiß nicht«, sagte Maerad verzweifelnd. »Ich fühle mich nicht tapfer. Seit geraumer Zeit erscheint mir alles hart und beschwerlich. Eigentlich mein ganzes Leben. Ich wünschte, ich könnte mich besser an meinen Vater erinnern. Ales, was mir noch im Gedächtnis ist-« Kurz setzte sie ab und schluckte. »Die deutlichste Erinnerung, die ich an ihn habe, ist jene daran, wie er umgebracht wurde. Das ist nicht gerecht.«
»Die Welt ist nicht gerecht«, erwiderte Sirkana. »Und nichts vermag ihre Ungerechtigkeiten leichter erträglich zu machen.«
Eine Weile schwiegen sie, und dabei fühlte Maerad sich Sirkana näher als jedem anderen Menschen seit langer Zeit. Sie spürte, dass neben ihr jemand saß, der sie so betrachtete und hinnahm, wie sie war, mit all ihren Vorzügen und Fehlern. Früher einmal hatte wahrscheinlich ihre Mutter sie so angesehen, doch daran konnte Maerad sich kaum noch erinnern. Schließlich küsste Sirkana sie auf die Stirn und erhob sich. Ihre Herzlichkeit verschwand hinter der üblichen ernsten Miene. »Tja, ich muss einen Streit zwischen zwei Klans schlichten; sie erwarten mich in der Halle«, erklärte sie. »Ich bin bereits spät dran.«
Mit noch von Tränen nassen Lidern schaute Maerad auf und lächelte. »Danke, Sirkana«, erwiderte sie nur.
»Du brauchst mir für nichts zu danken«, meinte die große Frau. »Du wirst bekommen, was du für die Reise brauchst. Wenn deiner Suche Erfolg beschieden wird, muss wahrscheinlich ich mich bei dir bedanken.« »Nicht dafür. Für-«
Kurz wurden jene starren Züge wiederweich. »Ich weiß. Denk stets daran, dass dich meine Liebe begleitet; möge sie dich behüten. Um deinetwillen und um deines Vaters willen.«
Dharin bestand darauf, dass Maerad ihm dabei half, Vorräte zusammenzutragen und den Schlitten für die Reise zu beladen. Er meinte, sie sollte wissen, was sie mitnahmen und wo es verstaut war. Außerdem müsste sie sich mit dem Schlitten vertraut machen, bevor sie aufbrachen. Maerad folgte der Aufforderung nur allzu gern; wenigstens hatte sie dadurch etwas zu tun.
Dharin hatte den Schlitten selbst gebaut und kannte jeden Knoten in- und auswendig. Die langen Kufen bestanden aus durchgehendem Eschenholz, das er zugeschnitten und an einem Ende behutsam aufgebogen hatte, damit der Schlitten mühelos über Steine und andere Hindernisse hinwegglitt. Die Dicke der Kufen entsprach etwa der seines Daumens. Beschichtet hatte er sie mit einer Mischung aus Schlamm, Moos und - wie er Maerad später verriet, als sie einander etwas besser kannten - Harn, der hart und glatt gefror und so das Holz schützte. Von den Kufen ragten sechs Rungen nach oben, ebenfalls aus Esche, jede etwas höher als die vorherige und verbunden mit zwei parallel verlaufenden Latten. Am Heck, hinter der letzten Runge, befand sich eine kleine Plattform, auf der Dharin stand, wenn er den Schlitten lenkte. Maerad, so sagte er ihr, würde vor ihm sitzen. Sorgsam richtete er ihr einen gemütlichen, dick mit Fellen gepolsterten Sitzplatz ein, in den sie schlüpfen konnte wie ein Fuß in einen Schuh.
Den Boden des Schlittens bildeten dicke Holzleisten. Am vorderen Ende war ein gekrümmter Bügel angebracht, der den Schlitten schützte, gefertigt aus robustem Holz und überzogen mit Rohleder. Als Dharin das Gefährt aus dem Sommerlager geholt hatte, hatte er es vollständig zerlegt und neu zusammengebaut, um dessen bestmögliche Belastungsfähigkeit zu gewährleisten und weil Mäuse das Leder angeknabbert hatten. Das Leder, das in zwei Lagen über den Schlitten gespannt war, verlieh dem ganzen Gefüge Biegsamkeit und Zusammenhalt.
Geduldig erklärte Dharin jede Einzelheit und fuhr mit den Händen liebevoll über jeden
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