Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
meiner Diener. Wenn du möchtest, kann ich sie bestrafen«, sprach er. »Ich war nicht erfreut über den Zustand, in dem sie dich mir übergaben: Ich konnte sehen, dass du schlecht behandelt worden warst. Aber wie sonst hätte ich dich herbringen sollen?«
»Du hättest mich einfach fragen können«, gab Maerad hitzig zurück. »Statt mich mitten im Nichts von einer Horde … Schurken angreifen zu lassen.« »Ich werde sie für dich bestrafen«, beteuerte Arkan gleichgültig. »Wenn du dich dadurch besser fühlst.«
»Nicht Nim«, warf Maerad ein. »Er war nett zu mir. Dass ich überhaupt noch lebe, verdanke ich ihm.« Ihre Beine hatten vor Schwäche zu zittern begonnen, und sie wankte leicht. »Bestraf Amusk. Er ist ein böser Mensch.« »Ich verstehe nicht, was du mit böse meinst«, entgegnete Arkan. »Ich habe den Eindruck, wenn Menschen Krieg führen, sagen sie stets: Dies ist gut, jenes ist böse. Mir aber erscheinen das Gute und das Böse oft als dasselbe.« »So ist es aber nicht«, setzte Maerad leidenschaftlich an, dann dachte sie an Enkir von Norloch und ihren eigenen Mord an der Bardin aus Lirigon und biss sich auf die Lippe. »Ich meine, die Menschen tun gute und böse Dinge, aber …« Stammelnd, verwirrt und bestürzt verstummte sie; dies alles verlief völlig anders, als sie sich ihre Begegnung mit dem Winterkönig ausgemalt hatte. »Bist du sicher, dass du den Unterschied zu erkennen vermagst?«, fragte Arkan. Maerad sah ihn an, betrachtete seine eigenartig blauen Augen, aus denen ein kaltes Gelächter zu sprechen schien, und straffte den Rücken. Inzwischen zitterten ihre Beine wirklich schlimm.
»Ja«, antwortete sie. »Ich vermag, den Unterschied zu erkennen. Menschen sind sowohl gut als auch böse. Aber es gibt einige, die sich dafür entscheiden, nur nach Macht zu streben. Und sie sind böse.«
»Dein Freund, Cadvan von Lirigon - er ist ein mächtiger Barde. Er hat sein ganzes Leben lang hart dafür gearbeitet, zu einem Mann mit Macht zu werden. Ist er demnach böse?«
Die unerwartete Erwähnung Cadvans versetzte Maerad einen Stich im Herzen; scharf sog sie die Luft ein. »Wie kannst du es wagen, mir gegenüber von Cadvan zu sprechen!«, erboste sie sich. »Wenn du ihn -« Abermals wankte sie; mittlerweile waren die Schmerzen in ihren Beinen fast unerträglich. »Er hat nie danach gestrebt, Macht zu besitzen. Ich meine, nicht über andere Menschen. Alles, was er tat, war für das Licht.« Sie ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, ihrem Körper ihren Willen aufzuzwingen. Dabei spürte sie erneut entsetzt das Fehlen ihrer Finger.
»Ah, das Licht.« Arkans Stimme klang tonlos. »Aber was ist das Licht ohne die Finsternis? Es könnte nicht bestehen. Und die Finsternis gab es zuerst.« »Jene Finsternis war eine andere Dunkelheit«, entgegnete Maerad. »Sie war die Nacht, sie war unschuldig…« Stockend holte sie Luft, dann trat kurze Stille ein.
»Du bist eben erst aus dem Krankenbett aufgestanden«, sagte Arkan. »Ich denke, du solltest dich setzen.« Wieder deutete er auf den Stuhl neben seinem Thron. Maerad schüttelte stur den Kopf. Fast unmittelbar darauf knickten ihre Beine unweigerlich unter ihr ein, und sie stolperte vorwärts, bis sie vor Arkan kniete und sich am Podium festhielt. Erniedrigt rappelte sie sich auf.
»Zu sitzen wäre eine stolzere Haltung als zu knien«, meinte Arkan nüchtern. Maerad setzte sich auf den Boden. »Dann sitze ich hier«, gab sie zurück. »Wie du willst.« Plötzlich wirkte Arkan gelangweilt. »Nun, Elednor von EdilAmarandh, ich habe dich nicht herbringen lassen, um mit dir die Vorzüge oder Nachteile von diesem oder jenem zu erörtern.«
»Warum dann?« Maerad schaute auf, und neuerlich regte sich Zorn in ihr. »Ich bin jedenfalls nicht freiwillig hergekommen. Und ich möchte gehen.« »Wohin, Elednor von Edil-Amarandh? Zurück in den Schnee, um ihm deine restlichen Finger darzubieten? Der Schnee ist immer hungrig.«
»Ich - ich habe eine Aufgabe zu erfüllen«, antwortete Maerad. Ein überwältigendes Gefühl der Trostlosigkeit schwappte über ihr zusammen. Ich will nach Hause, dachte sie; nur habe ich kein Zuhause. Vor ihrem geistigen Auge tauchte ein Bild von Hem auf, wie er sich ihr mit seinem lebhaften, verschmitzten Lächeln zudrehte, und das durchdringende Gefühl, wie sehr sie ihn vermisste, durchströmte ihren gesamten Körper. Sie wollte nicht länger in diesem Thronsaal auf dem Boden hocken und den Winterkönig mit ihr sein Spiel
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