Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
saß ein Mann. Er beobachtete, wie Maerad und Gima langsam durch die Halle schritten. Seltsamerweise hatte Gimas Befangenheit Maerad die eigene Angst genommen. Sie ging mit aufrechtem Rücken, damit sie nicht untertänig wirkte, und als sie sich dem Thron näherten, begegnete sie dem Blick des Mannes.
Er war ein Elidhu: Er besaß dieselben verstörend unmenschlichen Augen wie Ardina mit jenen katzenartigen Pupillen, doch während Ardinas Augen gelb schimmerten, erwiesen die seinen sich als ein sehr fahles Blau. Sein Haar war schwarz und lang und zu zwei Zöpfen geflochten, die ihm auf dir Brust herabhingen. Er trug keine Kopfbedeckung, sondern ein ärmelloses hellblaues Gewand, reich in Silber bestickt, darüber einen langen mitternachtsblauen Mantel, der über seinen Schultern hing. Reife aus Silber und Eisen, kunstfertig gearbeitet und mit weißen Edelsteinen besetzt, zierten seine nackten Arme. Seine Haut schimmerte makellos weiß, allerdings mutete seine Blässe keineswegs schwach oder kränklich an; vielmehr wirkte er stark und muskulös, und als Maerad sich ihm näherte, spürte sie mit einem Schauder seine strotzende Lebendigkeit. Wie Ardina wirkte er zeitlos, weder jung noch alt. Sein Antlitz war bar jeglicher Furchen wie das eines jungen Königs in der ersten Blüte seines Lebens, doch sein Blick war uralt.
Als sie am Fuß des Podiums angelangten, sank Gima zu Boden und zupfte an Maerads Arm, um ihr anzuzeigen, dass sie es ihr gleichtun sollte. Maerad hatte nicht die Absicht, sich zu dergleichen herabzulassen, und schüttelte Gimas Hand ab. Aufrecht stand sie da und musterte den Mann mit ausdrucksloser Miene. Endlich begegnen wir uns also, mein Feind, dachte sie bei sich. Und ich habe nur noch meinen Stolz übrig; den aber kannst du mir nicht nehmen. Zweifellos handelte es sich um Arkan, den Winterkönig, den Quell ihrer Sorgen: den Mörder Cadvans und Dharins, Darsors und Imis, den Verbündeten des Namenlosen, den bösen Gewaltherrscher des Nordens. Ungerührt erwiderte er ihren Blick. Dann schwenkte er die Hand.
»Geh, Gima«, sprach er auf Jussack. Seine Stimme klang tief und freundlich; Maerad, die einen barschen Befehl erwartet hatte, war überrascht. »Lass uns allein.«
Gima kroch auf Händen und Knien rücklings, ehe sie aufstand und nach wie vor rückwärtsgehend den Raum verließ, wobei sie um ein Haar in das Becken gefallen wäre. Maerad wandte sich um und beobachtete verdutzt ihren Abgang. Warum drehte sie sich nicht um, damit sie sehen konnte, wohin sie lief? Schließlich erreichte die Greisin die Tür und huschte hinaus.
Maerad wandte sich wieder dem Winterkönig zu und stellte fest, dass er sie mit etwas betrachtete, das wie Belustigung anmutete. Unwillkürlich hätte sie beinahe gelächelt. Doch das hätte ihren Stolz verletzt, und so beschloss sie, keinerlei Gefühlsregungen zu verraten. Sie hielt seinem Blick so gelassen stand, wie sie konnte, und mahnte sich abzuwarten.
»Willkommen, Elednor von Edil-Amarandh«, begrüßte der Winterkönig sie, nunmehr in der Sprache der Elidhu. Maerad zuckte zusammen; woher kannte er ihren wahren Namen? »Endlich bist du eingetroffen, und ich sehe mit eigenen Augen, welche Gestalt den Lauf der Sterne durchkreuzt.«
Kurz setzte er ab, vermutlich um zu sehen, ob Maerad etwas erwidern würde. Sie schwieg.
»Es wäre besser, wenn du dich setzt, statt dort zu stehen«, meinte er. »Komm, nimm neben mir Platz.«
Maerad schüttelte den Kopf. Er seufzte, als wäre er ein geduldiger König, der sich mit einem seiner widerspenstigeren Amtsträger herumschlagen musste. »Wie du willst«, sagte er.
»Ich will fort von hier«, erklärte Maerad, schaute wieder auf und begegnete trotzig seinem Blick. Wie jener Ardinas wirkte er beunruhigend und wühlte verborgene Tiefen in ihr auf. »Sagst du darauf auch >Wie du willst« »Warum möchtest du von hier fort? Findest du meinen Palast nicht wunderschön? Gefällt dir deine Kammer nicht? Ist das Essen unzumutbar? Ich gebe zu, Gima ist bisweilen ein wenig schwierig, aber sie ist auch sanftmütig. Ich kann dir eine andere Dienerin zuteilen. Mein Bestreben ist, dich zu erfreuen.«
»Du hast meine Freunde getötet. Und meinen Vetter.« Hitze breitete sich in Maerads Bauch aus, eine tief verwurzelte Wut. »Warum sollte ich im selben Haus verweilen wollen wie mein Feind?«
Arkan ließ den Blick auf Maerads Gesicht ruhen, und etwas in ihr zuckte zusammen, woraufhin sie die Augen abwandte. »Ich bedauere die Sünden
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