Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
kostete. Völlig entspannt rollte sie sich herum und öffnete die Augen - doch statt der hellen Fensterlaibung ihres Zimmers in Inneil sah sie den durchscheinenden Mondstein der Wände von Arkanda. Blinzelnd erwachte sie vollständig und rieb sich die Augen. Als sie die Lider wieder aufschlug, erblickte sie nicht die seltsame, aber wunderschöne Kammer, an die sie sich bereits gewöhnt hatte. Die Luft, die sie atmete, war stechend kalt, und vor ihr befand sich eine Wand aus schwarzem, unbearbeitetem Stein, in der eine schlichte Öllampe flackerte, ein Docht, der im Öl einer Steinschale trieb. Sie saß auf einer schmalen, mit Fellen bedeckten Pritsche auf dem gefrorenen Boden. Sie blinzelte, und die Mauern waberten, als wären sie nicht völlig fest, doch sie verschwanden nicht. Ihre linke Hand schmerzte, und sie schaute hinab. Ihre Finger fehlten, doch statt einer längst verheilten Narbe sah sie eine verheilende Wunde. Sie strich darüber und zuckte zusammen. Dabei konnte sie voll Erstaunen beobachten, wie die Wunde vor ihren Augen alterte, und die eigenartige, unbestimmte Beleuchtung kehrte zurück. Als sie aufschaute, bestand die Kammer wieder aus Mondstein. Maerad versuchte zu ergründen, was sie gefühlt hatte, als der Raum sich veränderte, dann fiel ihr der Traum ein. Cadvan, dachte sie, vielleicht spricht er von jenseits der Tore zu mir. Aber statt eines Festmahls zeigt er mir Hungersnot… das sieht ihm ähnlich. Ihre Mundwinkel zogen sich in süßsaurer Belustigung hoch, und in ihrem Inneren breitete sich plötzlich Wärme aus, als wäre sie nicht ganz so allein. Sofort wurden die Mondsteinwände durchscheinend, als sähe sie durch sie hindurch in eine andere Wirklichkeit. Ich bin in einem Verlies, dachte sie verwundert. Aber es ist ein verhextes Verlies …
Diesmal versuchte sie, durch Willenskraft die andere Sicht herbeizuführen. Sie wollte herausfinden, ob ihre Leier, die sie neben die Truhe gelegt hatte, vorhanden blieb oder verschwand, wenn der Raum sich veränderte. Doch mittlerweile war das traumartige Gefühl verpufft, und es gelang ihr nicht, die Wirklichkeit ihrer Zelle zu sehen. Seufzend erhob sie sich aus dem Bett, vergrub die Zehen in dem warmen Teppich, ging hinüber zur Leier und ergriff das Instrument.
Elednor, dachte sie, als sie zum Bett zurückkehrte. Woher kannte der Winterkönig meinen Namen? Ist er deshalb in der Lage, mich zu verhexen? Ist meine Macht deshalb plötzlich verschwunden ? Je mehr sie darüber nachdachte, desto überzeugter wurde sie davon. Vielleicht war dies schon damals am Gwalhain-Pass so gewesen, als Cadvan und sie von den Iridugul angegriffen wurden und sie außerstande gewesen war, sich mit ihm zu vereinigen, um gegen die Ungeheuer anzukämpfen. Der Winterkönig arbeitete schon lange gegen sie seit sie Thorold verlassen hatte. Vielleicht sogar noch länger. Zweifellos hatte er sie in dem Becken in seinem Thronsaal gesehen: Ardina hatte einen Tümpel verwendet, um Ereignisse an fernen Orten zu beobachten, und Cadvan hatte gesagt, der Landrost - der Elidhu, vor dem er floh, als sie einander kennen gelernt hatten - habe einen Tümpel besessen, den er verwendete, um zu sehen, was er wünschte. Aber wie hatte der Winterkönig ihren wahren Namen herausgefunden? Die Einzigen, die ihn kannten, waren Cadvan, Saliman und Nelac, und Maerad wusste, dass keiner von ihnen sie verraten würde.
Mein Name wurde vorhergesagt, erinnerte sie sich plötzlich. Jeder Narr, der die Prophezeiungen richtig liest, könnte ihn in Erfahrung bringen. Kalte Angst regte sich in ihrem Herzen. Wie sollte sie Arkan entkommen, wenn er ihren wahren Namen kannte und solche Macht über sie besaß, dass er in der Lage war, ihre Hände, ihre Augen, ja sogar ihre Haut zu täuschen? Und selbst wenn ihr die Flucht aus seiner Feste gelänge, wie sollte sie in Freiheit bleiben, wie ihre volle Macht wieder erlangen, wenn er sie ihr jederzeit erneut nehmen könnte? Nein, sagte sie sich. Nein, so kann es nicht sein. Doch in ihrem Herzen wusste sie, dass es stimmte. Jeder Barde, dessen wahren Namen ein Feind kannte, war gleichsam verkrüppelt.
Eine Weile saß sie untröstlich da und umklammerte ihre Leier. Aber an jenem Tag fühlte sich irgendetwas in ihr stärker an, was vermutlich an der Wärme lag, die der noch in ihrer Erinnerung verharrende Traum in ihr ausgelöst hatte. Schließlich setzte sie sich aufrecht hin und schüttelte sie. Nun denn, dachte sie. Ich versuche, die Leier zu spielen, und warte, ab,
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