Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
geraten, hatte sich kaum daran erinnert, wer sie war, hatte nur noch sterben wollen. Ich bin Ekdnor, sagte sie sich. Das bedeutet etwas. Aber was, entgegnete jene andere, höhnische Stimme in ihrem Kopf. Was bedeutet es ?
»Es bedeutet, dass ich versagt habe«, sprach sie laut aus und spürte, wie ihre Verzweiflung gleich einer dunklen, mächtigen Woge wieder heranbrandete. Sie dachte an die Bardin Ilar, die sie in Annar getötet hatte, und an den Tod Cadvans und der Pferde. Vor der Erinnerung an die Gesteinslawine scheute sie zurück, wurde jedoch stattdessen von einem lebhaften Bild Dharins überrumpelt, die Züge im Tode erstarrt. Sie hatte die Bardin aus Lirigon ermordet: Waren Cadvan und Dharin deshalb gestorben? Stellte ihr Tod eine Art Strafe dafür dar? Sie war außerstande, darüber nachzudenken, was dies bedeuten mochte. Wenigstens hatte sie nicht mit ansehen müssen, wie Dernhil gestorben war. Mancher Segen, dachte sie verbittert, ist äußerst gering.
Mit der Leier in den Armen kletterte sie zurück ins Bett. Spielen wollte sie nicht darauf; sie hatte zu viel Angst, um es zu versuchen. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie nie wieder etwas spielen würde.
Seit ihrem ersten Erwachen hatte Maerad niemanden gesehen, doch irgendwann, während sie bewusstlos gewesen war, hatte sie jemand gewaschen, umgezogen und ins Bett gelegt. Außerdem hatte jemand das Wasser und den Tisch neben ihr Bett gestellt, während sie geschlafen hatte. Der Gedanke war beunruhigend. Sie ging zu dem Durchgang und zog den himmelblauen Vorhang zurück. Außerhalb des Raumes befand sich ein fensterloser Flur, den dasselbe sanfte, quellenlose Licht erhellte wie ihre Kammer. Die Decke war hoch und gewölbt, und sie sah Türen, die zu anderen Kammern führten. Maerad schaute den Flur in beide Richtungen entlang, konnte jedoch keinerlei Anzeichen von Leben entdecken. Einen Lidschlag lang spielte sie mit dem Gedanken, ihre Umgebung zu erkunden, doch ihre Knie zitterten bereits durch die geringe Anstrengung, der es bedurft hatte, um zur Tür zu gehen. Zudem fürchtete sie, dass sie sich verirren könnte. Also kehrte sie stattdessen zum Bett zurück und ergriff wieder die Leier.
Mittlerweile regte sich Hunger in ihr. Vielleicht würde ihr jemand etwas zu essen bringen, so wie zuvor das Wasser. Dann könnte sie sich erkundigen, wo sie sich befand.
Sie setzte sich aufs Bett und wartete. Vorerst konnte sie nichts anderes tun. Sie wusste nicht, wie langte es dauerte, bis endlich jemand auftauchte. Das Licht in ihrer Kammer blieb unverändert und verriet nichts über das Verstreichen der Zeit. Maerad widerstand der überwältigenden Versuchung, sich wieder schlafen zu legen: Sie war fest entschlossen, wach zu sein, wenn das nächste Mal jemand in ihr Zimmer kam.
Nach einer Weile kam tatsächlich jemand - beruhigenderweise jemand, der sich als menschlich erwies. Eine kleinwüchsige, dicke Frau mit einem Kopftuch betrat unangekündigt den Raum. Sie trug ein Tablett mit einer Schüssel, in der sich etwas Dampfendes befand.
»Hallo«, sagte Maerad auf Jussack, da sie dies für die wahrscheinlichste Sprache hielt, mit der sie es als Erstes probieren sollte.
Die Frau lächelte, wodurch sich ihre Züge zu einem Spinnennetz aus Furchen runzelten. »Also bist du wach. Ich werde dem Meister Bescheid sagen.« »Dem Meister?« Maerad spähte auf die Schale, die verlockend köstlich roch, streckte jedoch nicht die Hände danach aus: Nach Auskünften sehnte sie sich noch mehr als nach Essen. »Wer ist der Meister?«
»Er ist unser aller gütiger Herr«, erwiderte die Greisin. »Er wird dich bald empfangen.«
»Aber wie lautet sein Name?«
»Er hat keinen Namen«, antwortete die Frau. »Er ist zu groß für einen Namen. Er ist der Meister. Hier, nimm die Suppe.« As Maerad sich weigerte, stellte die Frau das Tablett auf den Tisch neben dem Bett und wandte sich zum Gehen. »Wie lautet dein Name?«, fragte Maerad hastig, da sie wollte, dass die alte Frau noch blieb. »Und wo bin ich? Und was ist mit meiner Hand geschehen?« »Du bist hier im Palast des Meisters. Und mein Name ist Gima, junges Fischlein. Oh, du warst ein sehr krankes Mädchen, als du angekommen bist.« Wie Mirka schnalzte sie mit der Zunge. »Der Frost hat deine Finger abgebissen, Dummerchen. Aber jetzt geht es dir immer besser, nicht wahr? Schon bald wirst du kräftig genug sein, um ihm gegenüberzutreten.« »Meinst du den Winterkönig?«, fragte Maerad.
»Ich weiß nicht, wer das
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