Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
erinnern, was Cadvan ihr über diese Wesen gesagt hatte. Niemand wusste, wie viele von ihnen es gab, und als die Große Stille in Annar Einzug hielt, hatten sie sich aus menschlichen Belangen zurückgezogen und keine menschlichen Gestalten mehr angenommen. Außer Arkan und Ardina, dachte sie, die beide Reiche besaßen, über welche sie als König und Königin herrschten. Ardina hatte es aus Liebe getan, zumindest besagte dies die Legende. Aber Arkan - was war sein Grund gewesen ? Auch die Liebe zu einem menschlichen Wesen? Vielleicht - sie tat den Gedanken als lächerlich ab, sobald er aufkam, doch er kehrte zurück, und sie grübelte darüber nach, fragte sich, ob er womöglich doch nicht so weit hergeholt war - vielleicht hatte Arkan Sharma geliebt, und vielleicht war er von ihm verraten worden. Liebe würde erklären, weshalb Arkan mit solcher Verbitterung vom Namenlosen sprach, unter Umständen auch, weshalb er ihm das Baumlied gegeben haben könnte. Wenn er es getan hatte. Schließlich kursierten zahlreiche Geschichten über Liebe zwischen Elementaren und Menschen. Aber das Baumlied, dachte sie plötzlich, gehörte nicht nur Arkan. Wollte er es für sich alleine haben? Maerad fühlte sich benommen. Sie legte sich auf den Rücken und schloss die Augen.
Unter all diesen Gedanken schwärte die Notwendigkeit zu fliehen. Was immer Arkan von ihr wollte, er hatte kein Recht, sie gegen ihren Willen festzuhalten. Maerad hegte keinen Zweifel daran, dass er nicht übertrieb, was die Gefahren der Finsternis in Annar anging: Schließlich waren mittlerweile selbst die Mächte des Lichts gegen sie ins Feld geführt worden. Und dennoch verriet ihr ein tief sitzender Instinkt, der über ihre bloße Sehnsucht nach Freiheit hinausging, dass sie nach Annar zurückkehren musste.
Hem brauchte sie; vermutlich war er der Einzige, der sie wirklich brauchte nicht als Verkörperung einer Prophezeiung, nicht als letzte Hoffnung des Lichts gegen den Namenlosen, sondern als seine Schwester. Obendrein könnte Saliman sie bei ihrem Unterfangen unterstützen; er war ein beinahe so mächtiger Barde wie Cadvan. Doch sie sollte sie die beiden jemals finden? Inzwischen mussten sich überallhin die Wirren des Krieges ausgebreitet haben. Wahrscheinlich war Turbansk bereits eingenommen worden und Annar selbst von einem Bürgerkrieg zerrissen.
Arkan wirkte so zuversichtlich, dass sie ihm nicht entkommen konnte, dass Maerad kaum Hoffnung verspürte. Ihrer Vermutung nach wusste er nicht, dass sie das Trugbild seines Eispalastes durchschaut hatte. Andererseits war durchaus möglich, dass er nur mit ihr spielte. Immerhin wusste er auch, dass auf ihrer Leier das Baumlied geschrieben stand, folglich war ihm womöglich auch die Macht des Instruments bekannt, seinen Bann zu durchbrechen. Dennoch glaube Maerad nicht, dass er es wusste, was ihr wesentlich besser erschien.
Vielleicht unterschätzt er mich, dachte sie hoffnungsvoll. Wenn dem so ist, besitze ich etwas mehr Freiheit: Er wird nicht ganz so sorgsam über mich wachen. Und wenn ich vorsichtig und schlau genug bin, finde ich womöglich einen Ausweg.
Eine Weile grübelte sie darüber nach, ob sie vorsichtig und schlau genug sein könnte, um den Winterkönig zu überlisten. Irgendwie bezweifelte sie es. Andererseits, dachte sie, hatte sie wenig zu verlieren. In Gilmans Feste hatte sie sich in persönliche Fantasien geflüchtet, um dem Elend ihres Lebens zu entrinnen. Hier war ihr Leben nicht so erbärmlich: Sie glich eher einer geehrten Geisel als einer Sklavin. Es wäre ein Spiel - ein Spiel mit hohem Einsatz, ein Spiel um ihre Freiheit, um ihre Wahrheit.
Plötzlich traf Maerad ein Gedanke mit der Wucht eines Hammers, und sie setzte sich auf. Vielleicht konnte Arkan die Runen auf ihrer Leier lesen. Konnte sie das Wagnis eingehen, ihm das Instrument zu zeigen und ihn zu fragen? Konnte sie das Wagnis eingehen, es nicht zu tun? Wenn es tatsächlich Arkan gewesen war, der dem Namenlosen das Lied gegeben hatte, dann hatte er vielleicht beim Anfertigen der Runen die Hand im Spiel gehabt. Vielleicht verstand er, was sie bedeuteten. Womöglich stellte dies ihre einzige Aussicht darauf dar, die Runen zu entschlüsseln.
Maerad legte sich wieder hin. Sie fühlte sich so müde … Sie versuchte das Wagnis, Arkan die Leier zu zeigen, gegen die möglichen Erkenntnisse abzuwägen, doch bevor sie zu einer Entscheidung gelangen konnte, übermannte sie der Schlaf und schaltete ihr bewusstes Denken aus.
Als sie
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