Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Dienern kannst du nicht entkommen; sie sind überall, und sie alle suchen nur das Eine: dich. Glaub nicht, dass sie dich nicht finden werden, denn das werden sie.«
Maerad schauderte und musste an ihre Albträume denken, in denen Untote nach ihr griffen, und an den Zukunftstraum, in dem die Finsternis nach ihr suchte.
»Der Namenlose ist grausam, ich hingegen nicht«, fuhr Arkan fort. »Die Flucht in den Tod würde dir nicht gestattet; die geheimsten Winkel deines Geistes lägen seinem Hass und seiner Böswilligkeit ungeschützt offen. Du könntest dich nirgends verstecken. Dein Dasein wäre eine endlose Folter. Widerstand gäbe es keinen; er würde dich zerbrechen, und du würdest alles tun, was er verlangt.« Maerad dachte darüber nach. Wahrscheinlich sagte Arkan die Wahrheit. Und es schien klar, dass der Winterkönig eigene Ziele verfolgte; es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass jemand, der so hochmütig war, sich dazu herablassen würde, einem anderen zu dienen. Misstrauisch musterte sie ihn.
»Ich dachte, du und Ardina, ihr wäret Feinde«, sagte sie schließlich. »Und doch behauptest du, dem wäre nicht so.«
Arkan vollführte mit den Händen eine wegwerfende Geste. »In den Tiefen der Zeit fochten wir verschiedene Kriege«, räumte er ein. »Die Dinge verändern sich.«
Ein schrecklicher Gedanke kam Maerad: Hatte Ardina sie dem Winterkönig ausgeliefert? Hatte sie Maerad verraten? Sie rief sich Ardina ins Gedächtnis, die wunderschöne, amoralische Ardina, der sie zuerst im Wagwald begegnet war, die weise und gerechte Königin von Rachida, das schillernde Mondkind. Ardina war ein Wesen mit zahlreichen Gesichtern: Maerad fand keinen Grund zu glauben, sie könnte sie nicht verraten haben. Der Gedanke ließ sie sich elend fühlen, und sie stellte fest, dass sie erschöpft war. Maerad blickte auf ihre Hände hinab: Sie zitterten.
»Ich möchte zurück in mein Zimmer«, verkündete sie.
»Wie du willst«, erwiderte Arkan. »Wir unterhalten uns weiter, wenn du nächstes Mal erwachst. Im Palast darfst du dich frei bewegen; du kannst dich umsehen, wo du möchtest.«
Maerad trat vom Podium und ging ohne ein weiteres Wort auf den Eingang zum Thronsaal zu. An der Tür drehte sie sich um und schaute zurück. Der Königsthron war leer.
In ihrer Kammer warf Maerad sich aufs Bett und bedeckte das Gesicht, um den Anblick des Raumes auszusperren. Ihre Gespräche mit dem Winterkönig schienen alles auf den Kopf zu stellen. Was war Wirklichkeit, was Trugbild? Sie fühlte sich, als wüsste sie gar nichts mehr.
Maerad setzte sich auf und hielt sich die Hände vor die Augen. War es Einbildung, dass ihre Hand verstümmelt war? Aber nein, auch als sie die Leier gespielt hatte, hatten ihre Finger gefehlt, nur hatte die Hand nicht so gut verheilt ausgesehen. Oder stellte die Wunde selbst ein Trugbild dar? Wie konnte sie es feststellen? Einer plötzlichen Eingebung folgend kratzte sie sich mit dem linken Zeigefinger heftig an der rechten Hand, so heftig, das Blut floss. Eine Wunde hatte sich geöffnet. Doch während sie hinsah, schloss sich die Haut und verheilte, und es schien, als hätte sie sich nie aufgekratzt.
Das zumindest konnte nicht wirklich sein.
Maerad ergriff ihre Leier und schlug langsam einen Akkord an. Als die Noten erklangen, sah sie, wie sich der Kratzer an ihrer Hand öffnete und ihr Blut in die Handfläche lief. Es kitzelte. Nachdenklich leckte sie das Blut auf, bis die Musik verhallte, ihre Hand heil wirkte und sie sich wieder in ihrem wunderschönen Käfig aus Eis befand.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr glaubte sie, dass Arkan ehrlich zu ihr war. Sie vertraute ihm zwar nicht, aber was er über den Namenlosen und dessen Verrat gesagt hatte, klang wahr. Womöglich hatte Arkan selbst dem Namenlosen das Baumlied preisgegeben - sie wünschte inständig, sie wüsste mehr über die Geschichte der Dhyllin, über die sagenumwobene Zitadelle von Afinnil, über die Zeit, in der Barden und Elidhu vor der Großen Stille zusammen gesungen hatten. Dann wäre sie besser in der Lage, seine Geschichte zu beurteilen; sie würde wissen, ob er versuchte, sie in die Irre zu führen, ob er die Wahrheit seinen Zwecken beugte.
Ardina hatte zu ihr gesagt, dass sie weder der Finsternis noch dem Licht angehörte. Arkan hatte mehr oder weniger dasselbe behauptet. Beide unterschieden sich deutlich von dem, was man ihr über andere Elidhu wie den Lamedon berichtet hatte. Verzweifelt versuchte sie, sich daran zu
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