Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
würde ihn nicht als Verbündeten bezeichnen. Ja, es stimmt: Er hat meine Verbannung aufgehoben. Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine entsetzliche Strafe es ist, aus meinen Bergen, meinen Felsen, meinem Hort verbannt zu sein … Kein Mensch könnte das verstehen. Es ist, als besäße man keinen Körper, keinen Verstand, keine Heimat, kein Leben.«
Unverwandt sah er Maerad an, und als wäre plötzlich eine Tür aufgeschwungen, verspürte sie eine Verzweiflung, deren Größe unfassbar war. Maerad wusste, wie es sich anfühlte, heimatlos, alleine und ohne Verwandtschaft zu sein, doch Arkan sprach von etwas völlig anderem: von Jahrtausenden der Verbannung, des Harrens außerhalb des Lebens. Sie blinzelte.
»Also schuldest du dem Namenlosen Dankbarkeit«, meinte sie.
»Ich schulde ihm gar nichts.« Das Aufflackern eisiger Wut ließ den Thronsaal flackern. »Stell dich nicht dumm. Das steht dir nicht zu Gesicht.« »Was willst du dann von mir?«
»Ich habe dir bereits gesagt, was ich will.«
»Aber das habe ich nicht.« Maerad musterte seine Züge, suchte nach Anzeichen dafür, dass er wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
»Selbstverständlich hast du es. Oder zumindest die Hälfte, die Sharma begehrt. Hältst du mich für einen Narren?« Maerad spürte sein Missfallen; der Raum verfinsterte sich, als hätte sich ein Schatten über das Becken gesenkt, und für den Bruchteil eines Lidschlags hielt Eiseskälte Einzug in den Thronsaal. »Du verstehst nicht, dass es nichts bedeutet.«
Zu Maerads Erschrecken stand der Winterkönig auf. Er war sehr groß, viel größer als ein Mensch. Dann trat er vom Podium und ging zum Becken, wobei er sich mit der fließenden, raubtierhaften Anmut eines Luchses bewegte. Als er das Becken erreichte, blieb er mit dem Rücken zu ihr stehen und zeichnete sich dunkel gegen den Schein ab, wobei ein Schimmer frostigen Lichts seine Gestalt umgab.
»Es bedeutet mir nichts«, sagte Maerad wütend. »Für mich hat es keinerlei Nutzen. Ich weiß nicht, was es ist und wie man es liest.« »Weißt du denn, wo es ist?«, fragte Arkan.
Maerad biss sich auf die Lippe. Arkan hatte sie überlistet, sie mit seinem Gerede von Verbannung, richtig und fälsch verwirrt; und sie war ihm auf den Leim gegangen. Maerad hatte soeben zugegeben, dass sie das Baumlied hatte. »Was meinst du mit >wo es ist«, hakte sie in dem Versuch nach, Zeit zu schinden. Jäh wirbelte Arkan herum, das Antlitz düster vor Zorn, und schritt zurück zu Maerad, bis er über ihr aufragte. »Treib nicht solche kindischen Spielchen mit mir«, mahnte er sie. »Deine Lügen sind mir einerlei; du bist hier, weil ich mit dir zu sprechen wünsche, und etwas anderes als die Wahrheit zu sprechen ist Zeitverschwendung. Ich weiß durchaus, dass die Hälfte meines Liedes auf deine Leier geschrieben ist.«
Maerads Herz rutschte ihr in die Schuhe. »Warum nimmst du es dann nicht einfach und gibst es dem Namenlosen?«, fragte Maerad verbittert. »Damit wäre es mit Liebe, Wahrheit und all den Dingen vorbei, von denen du behauptest, es gibt sie nicht und du könntest die ganze Welt mit Schnee und Eis überziehen. Ist es nicht das, was du willst?«
»Hast du nichts von dem gehört, was ich gesagt habe?«
»Ich glaube nichts von dem, was du mir sagst.«
»Das solltest du aber.« Arkan umfasste Maerads Schulter; sie zuckte zusammen und versuchte, sich abzuwenden, konnte es aber nicht: Kälte durchdrang ihre Knochen mit einer seltsamen Erregung. »Wir haben gemeinsame Interessen, du und ich.«
Arkans Augen leuchteten, jedoch nicht vor Belustigung; es war eine andere, inbrünstige Empfindung, die sie nicht verstand und die sie ängstigte. Sie riss sich von ihm los. »Lass mich los«, forderte sie ihn auf. »Das tut weh.« Er löste den Griff. »Ich verstehe das nicht«, erklärte Maerad, deren Furcht in Wut umschlug, leidenschaftlich. »Du hast meine liebsten Freunde ermordet.« Ein schmerzlicher Kloß bildete sich in ihrem Hals. »Du hast Sturmhunde und Iridugul ausgesandt, um uns zu töten. Du hast diesen Jussack-Schurken befohlen, mich zu fangen und hunderte Meilen halbtot über die Winterlandschaft zu schleifen. Ich bin deine Gefangene, werde gegen meinen Willen festgehalten. Und dennoch behauptest du, wir hätten etwas gemeinsam. Wir haben nichts gemeinsam.«
Arkan nahm wieder auf seinem Thron Platz und wandte das Gesicht von Maerad ab. Eine Weile herrschte Schweigen. Maerad rieb sich die Schulter, wo er sie berührt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher