Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
bestand keine Notwendigkeit zu jagen. Gelegentlich kamen sie unter schlafenden Fledermausschwärmen hindurch, die wie seltsame, ledrige Trauben in Gruppen von der Decke hingen. Der Geruch ihres Dungs ließ Maerad angewidert die Lefzen über die Zähne kräuseln.
Am Fuß einer Felswand, die aus den Bäumen aufragte, gelangten sie ins Freie. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es gegen Mittag.
Maerad stellte fest, dass sie sich immer noch im Wald befanden, doch er war grauenhaft verwüstet. Fast jeder Baum war umgeknickt, und überall lag ein Gewirr aus abgebrochenen Asten, Laub und vereinzelten Kadavern glückloser Tiere. Auch ein Feuer hatte gewütet: Maerad sah Bäume, die wie riesige Fackeln gebrannt haben mussten, wenngleich die Flammen sich durch die Kälte nicht weit ausgebreitet hatten. Der Anblick erinnerte an die Nachwehen eines Krieges. Ringsum herrschte eine gespenstische Stille. Maerad stand mit aufgestellten Ohren hinter dem Rest des Rudels und versuchte, die Gegenwart des Winterkönigs zu erspüren; tatsächlich konnte sie ihn fühlen, allerdings sehr weit entfernt, grübelnd, gedankenverloren.
Die Wölfe bahnten sich einen Weg durch den verheerten Wald, immer Richtung Süden. Sie liefen in keiner bestimmten Reihenfolge; anscheinend verkörperte Ka das Tier mit der größten Befehlsgewalt, aber nicht den uneingeschränkten Leitwolf. Zumeist führte sie eine Wölfin namens Neka, die offenbar am geschicktesten darin war, einen Pfad durch das aufgewühlte, chaotische Gelände zu finden. Trotz all der Trümmer kamen sie rasch voran.
Gegen Abend erreichten sie den Rand des Waldes und gelangten in eine Landschaft, die der Arkiadera-Ebene ähnelte - eine flache, baumlose Steppe. Dort streckten die Wölfe die schlanken, muskelbepackten Körper und begannen über den Schnee zu rennen. Das Rudel verfiel in einen anmutigen Laufschritt, dessen Geschwindigkeit es stundenlang aufrechtzuerhalten vermochte. Sie rannten bis tief in die Nacht, in der ein Halbmond einen klaren Himmel erklomm und sein silbriges Licht über den Schnee ergoss.
Wie Ka vorhergesagt hatte, dauerte die Reise zum Osidh Elanor sechs Tage. Die Ausdauer und die unverminderte Geschwindigkeit der Wölfe über einen so langen Zeitraum verblüffte Maerad. Wenn es schneite, lief das Rudel lediglich dichter beisammen, damit sie einander nicht verloren, langsamer jedoch liefen sie deshalb nicht. Die Wölfe hatten es eilig und jagten nur zwei Mal richtig, am dritten und am sechsten Tag, obschon sie mehrere Male im Verlauf der Reise Hasen oder Mäuse erlegten, die das Pech hatten oder so unachtsam waren, ihren Weg zu kreuzen.
Trotz der Geschwindigkeit fand Maerad das Beisammensein mit dem Rudel unerwartet lustig. Die Wölfe waren geradezu süchtig danach, miteinander zu spielen. Besonders eine junge Wölfin namens Skira liebte es, die anderen Tiere anzuhüpfen, wenn das Rudel hielt; sie schlich sich stets von hinten an einen unaufmerksamen Wolf an, sprang ihm plötzlich auf den Rumpf und zwickte ihn heftig, bevor sie sich wieder von ihm löste. Manchmal führt dies zu einer wilden Hatz, bei der sie der angegriffene Wolf letztlich stellte, auf dass die beiden in einem unentwirrbaren Knäuel aus Zähnen, Klauen und Fell umherkullerten, während der Rest des Rudels ihre Tollerei mit einer Art Kläffen bedachte, einem Laut, den Maerad bald als Wolfsgelächter erkannte. Eines Abends stürzte sich das gesamte Rudel, sogar Ka, in ein verrücktes Fangenspiel und schlitterte dabei über den Schnee wie eine Meute übermütiger Kinder. Maerad wusste nicht, woher sie die Kraft dafür nahmen; sie selbst war am Ende eines Tages in der Regel zu erschöpft, um mehr zu tun, als sich jaulend zu beschweren, wenn jemand sie ansprang.
Maerad wurde als Ehrengast behandelt, doch trotz aller Freundlichkeit fühlte sie sich etwas außerhalb der eng verwobenen Bande des Rudels. Nach ein paar Tagen erfuhr sie, dass die Wölfe die jüngeren und älteren Tiere bei Inka-Reb gelassen hatten; Ka hatte nur die Stärksten des Rudels mitgenommen. Eines Nachts sangen die Wölfe für jene, die sie vermissten; sie versammelten sich in einem Kreis und stimmten ein langes Geheul von einer seltsamen Schönheit an, die Maerad schaudern ließ. Anders als bei Dharins Hunden gab es kaum Streit; nur Skira ging gelegentlich so weit, dass sie Kas Würde verletzte und sich dafür ein Knurren und ein Zwicken einfing. Nach und nach begriff Maerad, dass die Wölfe trotz aller Wildheit gutmütige
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