Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Ortschaft mit, wo sie die ganze Nacht in den Gärten der Tavernen an der Küste unter den funkelnden Sommersternen tranken und tanzten. Barden waren in den Tavernen stets willkommen, weil sie gute Musik verhießen, und die Thorolder liebten Musik.
Die Menschen, denen sie in der Stadt begegnete, waren genau wie die Barden: heißblütig, leidenschaftlich, streitlustig, herzlich. Nicht immer erwies sich die Inbrunst der Thorolder als gutartig; zu ihrem Erschrecken erlebte Maerad auch einige Raufereien mit, einmal zwischen zwei betrunkenen Barden, die von Elenxi buchstäblich am Kragen hochgehoben und auf die Straße gesetzt wurden, ein anderes Mal in einer Taverne zwischen mehreren Fischern.
Alles unterschied sich stark von allem, was sie zuvor kennen gelernt hatte, dennoch stellte sie fest, dass es ihr sehr gefiel. Es dauerte nicht lange, bis sie genauso streitlustig und laut wie die besten Barden wurde.
»Ein wildes Mädel«, hänselte Cadvan sie eines Nachts, als sie sich gerötet und außer Atem nach einem Tanz setzte. »Ich habe ja gesagt, dass du zum Teil Thorolderin bist.«
»Tja, wenn das auf mich zutrifft, dann vielleicht auch auf dich«, gab Maerad lachend zurück.
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte er. »Aber alles ist möglich.« Es stimmte, dass Cadvan, der in der Regel so einzelgängerisch wirkte und sich häufig so unwohl zu fühlen schien, wenn er längere Zeit in einer Schule weilte, sich in Busk ungewöhnlich entspannt zeigte.
Neben der von Norloch gesetzten Frist drehten sich die Gespräche unter sowohl Barden als auch Stadtbewohnern überwiegend um das Mittsommerfest, eine der höchsten Feierlichkeiten des Bardenjahres. Es war der Tag, an dem das neue Jahr begrüßt und das alte verabschiedet wurden. Maerad und Cadvan waren knapp drei Wochen vor der Sommersonnenwende eingetroffen, zu der das Fest stattfand, und dieses Jahr lag der Zeitpunkt besonders günstig, weil er mit dem Vollmond zusammenfiel.
»Es wird einen Umzug geben«, sagte Kabeka, die groß gewachsene Bardin, die Maerad an ihrem ersten Tag in Thorold dabei beobachtet hatte, wie sie ein Gedicht zum Besten gab. »Alle werden zum Umzug kommen - jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, jeder Hund und jedes Huhn in Thorold; und die Hälfte von Thorold wird im Umzug selbst mitmarschieren.«
»Das muss ein völliges Chaos sein«, meinte Maerad und versuchte, sich vorzustellen, wie eine solche Menschenmenge auf die schmalen Straßen von Busk passen sollte.
»Das ist es!«, bestätigte Kabeka grinsend. »Aber es ist ein riesiger Spaß. Wir freuen uns das ganze Jahr darauf. Die Kinder tragen Masken und dürfen Süßigkeiten von den Ständen stibitzen, frech zu Erwachsenen sein und allerlei Streiche spielen, denn an diesem Tag können sie nicht bestraft werden. Aber das Hauptereignis ist das Ritual der Erneuerung, das immer die Oberste Bardin vornimmt. Es ist eine der schönsten bardischen Traditionen; ich habe es schon so viele Male gesehen und bekomme nie genug davon. Die Oberste Bardin nimmt den Spiegel von Maras, der das alte Jahr enthält, und zerbricht ihn. Dann erschafft sie ihn neu, und aus dem Spiegel wächst der Baum des Lichts.« Maerad erinnerte sich an den Trugbann, den Nerili bei ihrem ersten Unterricht gewoben hatte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Danach wird getanzt, geschmaust und getrunken. Und geküsst«, fügte Kabeka schalkhaft hinzu, wodurch sie Maerad zum Erröten brachte. »Du wirst jemanden zum Küssen finden müssen.«
»Ich will aber niemanden küssen!«, entgegnete Maerad hitzig und musste plötzlich an Dernhil denken.
»Dafür gibt es reichlich junge Männer, die dich küssen wollen«, erwiderte Kabeka; Maerad wurde noch röter. »Dann wirst du dir nur einfallen lassen müssen, wie du sie davon abhältst.«
Eines Tages wurde Maerad mit dem Unterricht früher fertig und beschloss, sich zur Bibliothek zu begeben, um nach Cadvan zu suchen, der dort die Archive nach einer Erwähnung des Baumlieds durchforstete. Die am Hauptplatz gelegene Bibliothek von Busk erwies sich als labyrinthisches Gebäude, das sich tief in den felsigen Hügel dahinter erstreckte. Seit dem ursprünglichen Bau war es im Verlauf der Jahrhunderte planlos erweitert worden, sodass es sich nun als bienenwabengleiches Gewirr von Räumen präsentierte. Einige waren riesige Säle, in die durch lange Fenster Licht einfiel, andere winzige, dunkle Kammern; alle jedoch wurden vom Boden bis zur Decke von Regalen gesäumt, in denen sich
Weitere Kostenlose Bücher