Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Freude damit hätte, wenn ein Berglöwe seiner Herde auflauert.«
Maerad holte tief Luft, sammelte sich und suchte in ihrem Innersten nach der richtigen Vorgehensweise. Die erste Umwandlung hatte sie völlig ausgezehrt. Sie bündelte alle Gedanken auf den Löwen und stellte sich den Stein so vor, wie er ursprünglich ausgesehen hatte. Dann spannte sie ihren Verstand an wie einen Muskel, doch diesmal schmerzte es, als überanstrengte sie sich, und als sie aufhörte, zitterte sie heftig. Der Löwe war immer noch da und schlief tief und fest.
Cadvan fluchte, ging zum Löwen, bückte sich und kraulte ihn hinter den Ohren. »Tja, das ist eindeutig ein waschechter Löwe«, stellte er fest und kehrte zu Maerad zurück. »Kein Trug. Ich habe ihn mit einem Schlafbann belegt, er wird erst in einigen Stunden aufwachen. Wir können es also später noch einmal versuchen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte nicht wirklich gedacht, dass du zu so etwas in der Lage wärst. Dabei frage ich mich, ob du tatsächlich den Stein in einen Löwen verwandelt hast oder ob du einen Löwen von irgendwo hergezaubert hast, wo sich jetzt der Stein befindet. Und vielleicht ein sehr überraschter Hirsch. So oder so, solltest du besser herausfinden, wie du diesen Zauber rückgängig machen kannst.«
»Leichter gesagt als getan«, gab Maerad zurück und schaute verkniffen zwischen ihren Haaren hindurch zu ihm auf. »Ich weiß wirklich nicht, wie es geht. Vorher habe ich es fast gespürt, aber ich bin so müde. Vielleicht schaffe ich es ja später.«
Maerad gönnte sich ein Nickerchen, und nach ein paar Versuchen später an jenem Nachmittag gelang es ihr, den Stein in seiner ursprünglichen Form wiederherzustellen. Allerdings unterließen sie danach weitere Verwandlungen, zumal sie das Erlebnis als etwas unheimlich empfanden. Und jedes Mal, wenn Maerad an dem Stein vorbeiging, beschrieb sie einen großen Bogen darum, als könnte er sich plötzlich wieder in einen Löwen verwandeln.
Sie hatten beinahe einen Monat bei Ankil geweilt, als Maerad eines Nachmittags nach dem Unterricht, während sie müßig ihre Lieblingsaussicht genoss, zwei kleine Gestalten erblickte, die sich den steilen Pfad zur Weide heraufmühten. Sie war so gut wie sicher, dass es sich bei einer der beiden um Elenxi handelte, zumal er die andere deutlich überragte. Maerad kniff die Augen in dem Versuch zusammen, mehr zu erkennen, dann begab sie sich in den Käseschuppen, um Ankil die nahenden Besucher anzukündigen.
Ankil schaute von dem Brett auf, an dem er Quark in Musselin einschlug. »Elenxi? Dann ist er ein wenig früher dran, als ich erwartet hatte«, sagte er. »Naja, ich bin hier fast fertig. Sag bitte Cadvan, er soll einen Tisch und Stühle auf die Veranda zu stellen. Ich komme gleich.«
Als die Besucher die Weide erreichten, wurde deutlich, dass es sich bei der großen Gestalt in der Tat um Elenxi handelte, bei der anderen um Nerili. Maerad rannte los, um sie zu begrüßen, und sie hielten auf den willkommenen Schatten des Vorbaus von Ankils Haus zu, wobei sie sich den Schweiß von den Stirnen wischten.
»Guten Tag, Enkeltochter«, sagte Ankil und küsste Nerili auf die Wange. »Es ist lange her, dass ich dich zuletzt hier gesehen habe.«
»Viel zu lange, Großvater«, gab Nerili lächelnd zurück. »Du hast mir gefehlt.« Maerad hatte plötzlich das absurde Bild vor Augen, wie Nerili als fünfjähriges Kind auf Ankils Knie saß.
Sie nahmen um seinen Tisch Platz, der bereits mit Essiggurken, Brot, Käse und Karaffen voll Wein und Wasser beladen war.
»Zuerst Wasser!«, rief Elenxi mit funkelnden Augen aus. »Es macht ganz schön durstig, dich zu besuchen, Bruder. Danach, wenn mein Durst gestillt ist, genießen wir deinen feinen Rotwein.«
»Du besitzt überhaupt keinen Anstand«, meinte Ankil ernst. »Du wirst mich doch wohl nicht nur des Weines wegen besuchen?«
»Ich wüsste nicht, weshalb ich es mir sonst antun sollte, diesen Pfad zu erklimmen«, gab Elenxi zurück. »Für einen alten Mann ist es ein beschwerlicher Weg.«
So wurde belanglos weitergescherzt, bis die Besucher sich von dem langen Aufstieg erholt hatten. Dann ließ Nerili einen ernsten Blick um den Tisch wandern, und Schweigen hielt Einzug. In Maerads Augen wirkte Nerili strenger als bei ihrer letzten Begegnung, als hätte sie einen inneren Kampf durchgemacht. »Natürlich ist euch klar, meine Freunde, dass wir trotz des ausgezeichneten Weins hier sind, um über andere Dinge zu sprechen«,
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