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Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel

Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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fragte sich, wie viele Schläge von einem solchen Ungetüm die Weiße Eule trotz aller Festigkeit und Bardenzauber verdauen konnte. Sie wischte sich das Haar aus dem Gesicht, dann entsandte sie ihren Geist zu jenem Cadvans - behutsam, um ihn nicht zu erschrecken und seinen Zauber zu stören. Zur Antwort spürte sie zunächst leichte Überraschung, gefolgt von Erleichterung, und er ließ ihre Macht mit der seinen verschmelzen. Sich mit Cadvans Geist zu vereinen bedeutete, mit ihm die volle Gewalt der Wut des Sturmhunds zu teilen, und Maerad taumelte unter der plötzlichen Wucht. Gleichzeitig verpuffte ihre Furcht vor dem Ungetüm gänzlich und wurde von einer sonderbaren Erregung ersetzt. Es fühlte sich beinahe an, als könnte sie den Sturmhund verstehen, obwohl er keine ihr bekannte Sprache verwendete. Sie sah ihm in die Augen, und zum ersten Mal nahm er ihre Gegenwart wahr. Er schnappte nach ihr, bellte sie an, und vor Maerads geistigem Auge tauchte eine völlig zusammenhanglose Erinnerung auf: ihre Mutter, die ihr das Haar streichelte, als sie noch ein kleines Mädchen war.
    Maerad holte tief Luft. Dann heftete sie die Augen auf den Hund und begann zu singen. Sie sang sowohl in Gedanken als auch mit ihrer Stimme, obwohl jegliche Laute sofort vom Sturm hinweggerissen wurden. Inmitten all des Tosens bildeten sie nur ein leises Flüstern, dennoch glaubte sie, dass der Sturmhund sie hören konnte. Sie spürte, wie Cadvan überrascht ins Stocken geriet, und das Boot wurde kurz dunkler, als er vorübergehend die Konzentration verlor.
     
    Schlafe, mein Kindchen, der Tag ist vorbei,
    schlafe, mein Liebling, und legt dich zur Ruh
    die Sonne, sie sinkt hernieder zur See,
    die Hasen, sie schlafen im duftigen Klee,
    und die nächtliche Eule stimmt an ihr Schuhu.
     
    Die alte Weise - wie lange war es her, seit Maerad sie zuletzt gehört hatte? stieg in ihrer Kehle auf, und ihre Stimme wurde lauter. War sie verrückt, dass sie einem Sturmhund ein Wiegenlied vorsang? Aber sie vermeinte, eine Veränderung in den Augen des Hundes zu erkennen. Sie holte neuerlich Luft und sang die nächste Strophe, füllte ihren Geist mit Zärtlichkeit. Dabei dachte sie daran, wie ihre Mutter ihr die Stirn gestreichelt hatte, während sie kurz vor dem Einschlafen dagelegen hatte. Sie besann sich des leisen Gurrens ihrer Stimme und ihres Kusses, als Maerad letztlich einschlief.
     
    Schlafe, mein Kindchen, die Nacht bricht herein,
    schlafe, mein Liebling, und leg dich zur Ruh,
    auf silbernem Schiffchen wirst du bald sein,
    dein Haar wird wehen im Mondenschein,
    der leuchtet im Dunkel und deckt dich nun zu.
     
    Mittlerweile war Maerad überzeugt, dass ihr wahnwitziger Einfall Wirkung zeigte; der Sturm ließ an Stärke nach, und der Sturmhund hatte zu bellen aufgehört. Stattdessen schien er sie fragend, mit aufgerichteten Ohren zu beobachten. Die Blitze in ihm zuckten weniger heftig, und das entsetzliche Kreischen war zu einem seltsamen, tiefen Donnergrollen verebbt. Sie sang weiter und begann von vorne, als sie das Ende des Wiegenlieds erreichte, ohne die Augen vom Sturmhund abzuwenden; und während sie sang, ließ die Gewalt des Meeres allmählich nach, bis die Wellen sich nur noch wenig höher als ihr Boot auftürmten. Sie sang und sang, und mittlerweile erscholl ihre Stimme laut genug, um über dem abflauenden Wind vernommen zu werden. Der Sturmhund wurde trüber und begann, fast unmerklich zu verschwinden wie eine Wolke, die in einen klaren Himmel übergeht, während man hinstarrt. Schließlich war er weg. Als der Sturmhund verblasste, nahm das Boot langsam wieder seine gewöhnlichen Farben an: dunkel lackiertes Holz, weiße Bemalung und rotes, eingerolltes Segel. Erst, als Maerad blinzelnd die Farben betrachtete, wurde ihr klar, dass der Morgen angebrochen war.

Neuntes Kapitel
     
Ossin
    Owan verzurrte die Pinne und stolperte zu Cadvan und Maerad hinüber. Seine Züge waren grau vor Erschöpfung, die Augen rot gerändert, das Haar und die Kleider steif vor Salz, die Knöchel aufgeschunden vom Kampf gegen die Elemente, um die Weiße Eule flott zu halten. Inbrünstig umarmte er die beiden Barden.
    »Beim Licht«, stieß er heiser hervor. »Ich dachte schon, wir wären auf dem Weg zu den Toren und meine Eule würde ins Reich der Fische hinabwandern.« Maerad blickte ihm in die Augen und sah darin ihre eigenen Empfindungen widergespiegelt: Erleichterung darüber, noch am Leben zu sein, eine benommene Erschöpfung und die herzliche

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