Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Owan begann aus langer Gewohnheit, die überall verstreuten Taue aufzurollen.
Bald kehrte Cadvan mit einer Flasche, ein paar Tellern, einem Tuch, einem Laib Brot und etwas Käse zurück. »Da unten ist es ein klein wenig nass«, erklärte er. »Aber das hier ist einigermaßen trocken geblieben.« Er breitete das Tuch auf dem Deck aus und tischte ihre Mahlzeit auf. »Lass das, Owan. Ich helfe dir später dabei. Nimm erst mal etwas davon.«
Er reichte dem Fischer die Flasche. Owan trank einen ausgiebigen Schluck, wischte die Öffnung ab und gab die Flasche an Maerad weiter, bevor er sich zu den beiden Barden setzte. Auch Maerad trank einen ordentlichen Schluck und blinzelte: Es war Laradhel, ein geistiges Getränk, das Barden als Stärkungsmittel verwendeten. Wie Feuer floss es in ihren Magen hinab. Schlagartig breitete es seine Wärme durch ihren Körper aus und vertrieb die Kälte, die sich tief in ihre Knochen eingenistet hatte.
Eine Weile aßen sie schweigend, zumal alle plötzlich feststellten, wie hungrig sie waren. Der Käse war guter thoroldischer Ziegenkäse, aber an jenem Morgen besaß er eine besondere Würze, fand Maerad; oder vielleicht lag es nur daran, dass sie dem Geschmack mehr Aufmerksamkeit schenkte. Trotz ihrer Müdigkeit fühlten all ihre Sinne sich geschärft an.
Maerad ließ prüfend den Blick über das Meer wandern, während sie kaute, und sie erspähte am Horizont einen langen, niedrigen Schemen. »Ist das Ileadh?«, fragte sie und deutete mit einem Stück Brot in der Hand in die Richtung. Owan kniff die Augen zusammen. »Ja. Und dort im Osten ist die Westküste von Annar. Wir wurden gar nicht so weit vom Kurs abgetrieben. Gegen Abend werden wir dort sein, schätze ich.«
Eine Weile herrschte Stille, die nur von Kaugeräuschen durchbrochen wurde. »Letzte Nacht war ich ziemlich froh, euch Barden dabei zu haben«, fügte Owan schließlich hinzu.
»Naja, wenn du uns Barden nicht an Bord hättest, wärst du vielleicht gar keiner solchen Gefahr begegnet«, gab Cadvan nüchtern zurück. »Wir verkörpern also einen fragwürdigen Segen. Hast du je so weit südlich von Sturmhunden gehört?« Owan überlegte kurz, bevor er antwortete. »Man erzählt sich von Sturmhunden während der Großen Stille«, sagte er. »Aber seither nicht mehr. Und wie ich höre, tauchen sie unlängst weiter oben im Norden auf, um die Küste von Zmarkan. Aber nicht so weit südlich, nein.«
»Das klingt nicht gut«, meinte Maerad. »Es hört sich an, als hätte jemand den Sturmhund nach uns ausgeschickt.«
»So sehe ich das auch«, erwiderte Cadvan. »Gewiss hat man erahnt, dass wir nach Ileadh unterwegs sein würden. Ich denke, Owan, wir sollten nicht in Gant anlanden.«
»Das hatte ich ohnehin nicht vor«, gab Owan zurück. »Aus eben diesem Grund. In der Nähe von Gant, am Argent gelegen, gibt es einen Weiler namens Ossin. Dort erwartet man uns.«
Mit den Vorkehrungen zufrieden nickte Cadvan und wandte sich Maerad zu. »Sturmhunde sind Elementare. Ich vermute, dass dir deshalb der Gedanke kam, ihm vorzusingen, Maerad.« Müde lächelte er sie an. »Nur eine Elidhu wäre verrückt genug, sich so etwas einfallen zu lassen. Der Sturmhund kann nur von Arkan, dem Winterkönig, geschickt worden sein. Sie sind seine Geschöpfe; er hat sie während der Kriege der Elementare eingesetzt, und auch während der Großen Stille. Ich vermute schon seit langem, dass der Namenlose und der Winterkönig miteinander im Bunde sind und Arkan aus seinem langen Schlaf erwacht; aber das liegt in der Tat nahe.«
»Das bedeutet, dass man weiß, wo wir sind«, stellte Maerad schaudernd fest. »Und dass unsere Verfolger nicht weit hinter uns sind.«
Sie erreichten Ossin bei Einbruch der Nacht, nachdem Cadvan Owans inständiger Bitte um einen magischen Wind nachgegeben hatte. Sie waren die lange Bucht der Nabe von Gant hinaufgesegelt, und Maerad betrachtete die grünen und purpurnen Hügel, die sich zu beiden Seiten erstreckten. In einer Senke am äußersten Ende der Nabe erhaschte sie einen Blick auf Gant selbst: weiße Mauern, überragt von Türmen mit zwiebelförmigen Kuppeln, die silbrig, golden und kupfern im Licht der untergehenden Sonne erglänzten. Innerlich seufzte sie darüber, dass sie die Schule des Ortes nicht besuchen konnte; selbst aus der Ferne sah Gant wunderschön aus.
Doch stattdessen segelten sie etwa eine Wegstunde weiter nach Westen in die breite Mündung des Argent. Durch seine Mitte verlief ein tiefer Kanal; davon
Weitere Kostenlose Bücher