Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
niedergebrannt, die davon befallen waren. Entweder von ihnen oder von ihren Nachbarn, die fürchteten, sie könnten sich damit anstecken.«
Während Maerad lauschte, zog ihr Herz sich zusammen. »Warum wird sie die Weiße Krankheit genannt?«
»Wegen des silbernen Schleiers, der die Augen derer beschlägt, die daran leiden.« Cadvan schüttelte den Kopf. »Es ist grauenhaft, Maerad, Menschen zu sehen, die sich diese Seuche zugezogen haben. Ihre Augäpfel sind weiß und blicklos, und ihre Leiber brennen von einem Schwindfieber, das ihr Fleisch verzehrt. Wenn ihnen nicht das Glück beschieden wird, von einem großen Heiler - einem Heiler wie Nelac - versorgt zu werden, erblinden sie für den Rest ihres Lebens. Sofern sie überhaupt überleben.«
Ernüchtertes Schweigen trat ein. »Ich frage mich, was die Frau damit gemeint hat, dass Kinder für die Armeen geraubt werden«, sagte Maerad schließlich. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Cadvan verkniffen. »Ich habe auch noch nie von Kinderdieben gehört. Aber Kinder sind gleichbedeutend mit billigen Arbeitskräften; vielleicht werden sie geraubt, um als Sklaven zu dienen. Ich kann schwerlich glauben, dass man sie entführt, um sie als Soldaten zu missbrauchen; andererseits leben wir in so grausigen Zeiten, dass sogar das möglich ist. Dabei sind schon die Waisenhäuser schlimm genug - schäbige, stinkende Kerker der Verzweiflung. Du hast ja gehört, was Hem darüber berichtet hat. So sehen die Nachwehen des Rückgangs des Bardentums aus. Früher wurden solche Kinder geschätzt und umsorgt. In diesem verseuchten Land allerdings würde es mich nicht überraschen, wenn es einen Kinderhandel gäbe.« Er hörte sich an, als schmeckten die Worte widerwärtig in seinem Mund. »Aber genug davon; umso mehr Grund für Eile. Esterine ne, Darsor!« Darsor warf den Kopf hoch, dann preschte er in vollem Galopp los. Imi folgte an seiner Flanke, als wollten auch die Pferde das Grauen abschütteln, auf das sie in dem trostlosen Weiler hinter ihnen einen Blick erhascht hatten.
Den Rest des Tages ritten sie durch Edinur, durch Dörfer, Weiler und vorbei an einsamen Bauernkaten. Einige Orte waren so verheert wie der erste, den sie gesehen hatten, andere wirkten unberührt. Doch über allem hing der Hauch des Verfalls; häufig sahen sie auf den Feldern verdorbene Ernten, bereits grau vor Pilzbewuchs, was bedeutete, dass nie jemand den Mais oder das Getreide einsammeln und essen würde; sie passierten Obstgärten, in denen die Blätter verwelkt waren und die Bäume keine der Früchte trugen, die eigentlich daran reifen und mittlerweile bereit zum Pflücken sein sollten. Überall herrschten Anzeichen einer bevorstehenden Hungersnot vor, und in jeder Ortschaft gab es Bettler, die sich ihnen mit blicklosen Augen zuwandten und um milde Gaben flehten.
Als sie tiefer nach Edinur vordrangen, begegneten sie ganzen Familien, die mit Sack und Pack auf von Pferden oder Ochsen gezogenen Karren in Richtung der Ortschaften wanderten, vermutlich gen Aldern. Hinten auf den Wagen saßen Kinder, ließen die Beine baumeln und schauten mit hohlen Blicken auf ihr früheres Zuhause oder stritten schrill miteinander. Die Männer und Frauen starrten hohlwangig geradeaus, als hätten sie die Hoffnung bereits fahren lassen, die sie zum Aufbruch bewogen hatte - die Hoffnung, dass es irgendwo ein weniger grausames Zuhause für sie geben würde als jenes, das sie verlassen hatten. Ebenso oft sahen sie einzelne Reisende auf einem Pferd oder zu Fuß, beladen mit schweren Bündeln. Manchmal liefen sie barfuß mit blutenden Füßen.
Dies alles mit anzusehen war schwer zu ertragen, und Maerad und Cadvan unterhielten sich im Verlauf des Tages zunehmend weniger miteinander. Gegen Einbruch der Dämmerung erreichten sie die Kreuzung, an der die Bardenstraße aus Ileadh auf die Nordstraße stieß und in Richtung der Valverras weiterführte. Stillschweigend kamen sie überein, Edinur gänzlich hinter sich zu lassen, bevor sie in jener Nacht das Lager aufschlugen.
Maerad erinnerte sich an dieses Wegstück, auf dem die Straße sich durch Birken- und Lärchenhaine hinzog, ehe sie zu einem hohen Rücken hinaufführte. Da der Tag sich mittlerweile neigte, begegneten sie niemandem mehr, was sie als Erleichterung empfanden, zumal die Menschen, die sie bislang gesehen hatten, so verzweifelt gewesen waren. Auf der anderen Seite des Hügelrückens befand sich ein breites Tal mit baumlosen Grasland, durch dessen Mitte der Aldern
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