Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
strömte. Die Nordstraße führte den steilen Hang hinab und auf einer gewölbten Steinbrücke über den Fluss, wonach sie scharf nach Westen bog und entlang des Gewässers verlief, um die Valverras-Öde zu umgehen, ein weitläufiges Gelände voller Anhöhen und Moore, gesprenkelt mit Hügelgräbern aus Granit.
So düster die Landschaft vor ihnen sein mochte, Maerad verspürte große Erleichterung darüber, Edinur hinter sich gelassen zu haben. Sie trabten das Tal hinab, überquerten die Edinur-Brücke und wandten sich auf der Bardenstraße nach Westen. Während der Mond angeschwollen und gelblich aufging, trotteten sie weiter, bis sie auf einen Hain alter Weiden stießen, in dem sie rasten konnten. Als Maerad müde abstieg und Imi absattelte, damit die Stute grasen konnte, fühlte sie sich so niedergeschlagen, dass sie kaum zu sprechen vermochte, während Cadvan eine Mahlzeit zubereitete. Die Erinnerung an ihren Zukunftstraum über Turbansk stieg in ihr auf, und sie konnte weder das damit verbundene Grauen noch das Zittern in ihrem Herzen verdrängen, wenn sie an Hem dachte. Sie hatte Cadvan nichts von dem Traum erzählt, weil es ihr unerträglich war, ihn mit Worten zu beschreiben. Das ist unsere Zukunft, dachte sie düster, diese verheerte Welt, in der alles, was wir lieben, vergiftet oder niedergemetzelt wird.
Cadvan musterte sie über das Feuer hinweg. »Es ist schwierig, Menschen in solchem Elend zu sehen und außerstande zu sein, ihnen zu helfen«, sagte er, während er einen heißen Eintopf aus Hafer und Trockenfleisch umrührte. Maerad erwiderte eine Weile nichts. »Sie erinnern mich an Gilmans Feste«, meinte sie schließlich. »Diese Gesichter. Ich dachte, das hätte ich hinter mir gelassen. Aber es scheint überall zu sein.«
Schweigend verspeisten sie ihr Abendessen. Nachdem sie aufgeräumt hatten, starrte Maerad missmutig an den Himmel. Der Mond zeichnete sich als Unheil verkündendes orangefarbenes Glaren zwischen dunklen Wolkenbänken ab. Kaum ein Stern war zu sehen. Ihr war kalt, und es wollte ihr nicht warm werden, ganz gleich, wie dicht sie sich ans Feuer setzte. Ihre monatliche Blutung hatte eingesetzt, doch sie fühlte sich ausgelaugter, als selbst das zu erklären vermochte.
»Wir haben Pech«, stellte Cadvan fest. »Ich glaube, das Wetter schlägt demnächst um.«
»Ausgerechnet an der Schwelle zur Wildnis. Glück scheint mir in dieser Gegend Mangelware«, erwiderte Maerad, ehe sie zu ihrer eigenen Überraschung unvermittelt in Tränen ausbrach. Sie wandte sich ab, aber Cadvan war bereits näher zu ihr gerückt und ergriff ihre Hand.
»Maerad, unsere Welt ist voller Sorge und Übel«, sagte er. »Trotzdem gibt es auch Schönheit, Licht und Liebe. Das musst du dir immer vor Augen halten.« Mit ernster Miene sah er ihr ins Gesicht, doch Maerad konnte seinem Blick nicht begegnen. Sie drehte sich zur Seite und stieß seine Hand weg.
»Du hast doch gar keine Ahnung, wovon du da redest«, entgegnete sie verbittert. »Es gibt Dinge, die du nicht weißt, Cadvan. Du weiß nicht, wie es ist, ich zu sein.«
»Nein, das kann ich nicht wissen«, pflichtete er ihr mit sanfter Stimme bei. »Ebenso wenig kannst du wissen, wie es ist, ich zu sein.«
»Mir ist einerlei, wie es ist, du zu sein«, schleuderte Maerad zurück, die plötzlich das Verlangen beseelte, Cadvan zu verletzen, der stets so vernünftig und gerecht auftrat. »Das hat rein gar nichts mit dem zu tun, wovon ich spreche.«
Cadvan saß schweigend da, das Gesicht im Schatten. Maerad schaute mit immer noch von Tränen brennenden Augen in seine Züge auf, doch er wich ihrem Blick aus. Sie schaute weg, durch die Weiden in die Dunkelheit dahinter. In ihrem Herzen hatten sich ein Zorn und Schmerz ausgebreitet, die sie nicht auszudrücken vermochte, nicht einmal sich selbst gegenüber, dennoch wollte sie Cadvans Mitgefühl nicht. Es verschlimmerte nur alles, zumal es eine Furcht in ihr aufrüttelte, über die sie keine Herrschaft besaß. Sie konnte nicht abschätzen, ob sie ihn verletzt hatte oder ob er bloß nachdachte.
»Es tut mir leid«, sagte er schließlich.
Mit einem Nicken nahm Maerad seine Entschuldigung an, entbot ihm jedoch selbst keine. Sie war mit der ersten Wache an der Reihe, und so rollte Cadvan sich bald darauf in seine Decke und schlief ein.
Elftes Kapitel
Begegnung mit Barden
Nach jener Nacht blieb die Spannung zwischen Cadvan und Maerad ständig erhalten. Sie reisten zwar, wie es ihnen mittlerweile zur Gewohnheit
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