Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Frau musterte ihn mit einem Anflug von Zweifel in der Miene und stetem Blick, dann senkte sie langsam die Pfanne. Flüchtig spähte sie zu Maerad, wobei etwas in ihre Züge trat, das an Verlegenheit erinnerte. Plötzlich hatte Maerad ein flüchtiges Bild der Frau vor Augen, wie sie hätte aussehen können, wäre sie nicht von Verzweiflung fast gebrochen worden. »Na schön. Ihr sprecht freundlich.« Sie setzte ab, als kramte sie nach unvertrauten Worten. »Es tut mir leid. Seine Mutter starb an der Krankheit, und niemand außer mir kümmert sich jetzt um all die kleinen Würmchen. Ihre Eltern sind allesamt unter der Erde, und ich habe von niemandem Hilfe. Aber ich werde nicht zulassen, dass man sie holt.« Sie hob die Bratpfanne wieder an, woraufhin Maerad vorsichtig zurückwich. »Holt?«, hakte Maerad nach.
»Es sind immer Männer, die kommen. Männer in Mänteln. Und sie nehmen die noch lebenden Kinder mit. Angeblich, um sie in Waisenhäuser zu bringen. Ohne eine Frage an die zu verschwenden, die für sie sorgen und sie lieben.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Von hier haben sie acht Kinder geholt. Aber mehr werden es nicht werden. Nicht, solange ich hier bin.« Erneut hob sie die Pfanne an, schüttelte sie und spuckte aus. »Waisenhäuser! Sie werden in keine Waisenhäuser gebracht, das versichere ich Euch.« Maerad dachte an Hem und seine Geschichte von dem Waisenhaus in Edinur, in dem er als kleines Kind abgesetzt worden war. Unwillkürlich schauderte sie. »Wohin werden sie dann gebracht?«, erkundigte Cadvan sich mit sanfter Stimme.
Abermals spuckte die Frau aus. »Wenn Ihr mich fragt, sind sie für ihre Armeen«, erwiderte sie. »Ich habe sie hier durchmarschieren sehen, mit all ihrem Pöbel, und einige der Soldaten standen nicht höher als Eure Tiere.«
»Armeen?«, setzte Maerad ängstlich an, doch Cadvan brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
»Entschuldigt, gute Frau«, sagte er. »Wir wollten Euch nicht erschrecken.« Damit stieg er ab und ging auf sie zu. Unruhig wich sie zurück, wehrte sich jedoch nicht, als er ihre Hand ergriff. »Seid guten Mutes. Wie lautet Euer Name?«
»Mein Name?« Sie hörte sich an, als hätte sie ihn längst vergessen. »Mein Name ist… Ikabil.«
Cadvan beugte sich vor, küsste sie auf beide Wangen und murmelte etwas, das Maerad nicht hören konnte. »Lebt wohl, Ikabil. Geht mit Licht im Herzen.« Cadvan kehrte zu Darsor zurück und stieg wieder auf.
Ein Ausdruck des Erstaunens schlich sich in Ikabils Augen, und ein paar Lidschläge lang verharrte sie reglos. Dann lächelte sie, und Maerad erblickte statt der von langem Leiden ausgezehrten Vettel die sanftmütige und starke Frau, die sie einst gewesen war. Ein neuer Friede hatte in ihr Gesicht Einzug gehalten. Wortlos bückte sie sich und streichelte dem Knaben über den Kopf. Er umklammerte immer noch ihren Rock und vergrub das kleine Antlitz darin, aber er hatte zu quengeln aufgehört.
»Wir sollten jetzt gehen«, meinte Cadvan zu Maerad, die sich sogleich auf Imi schwang. Die Frau hob die Hand.
»Möge das Licht Euren Pfad erhellen«, wünschte sie schüchtern. Die Barden hoben zur Erwiderung ebenfalls die Hände und trotteten durch den Weiler. Eine Weile ritten sie schweigend vor sich hin.
»Was hast du zu der Frau gesagt?«, verlangte Maerad schließlich zu erfahren. »Gesagt? Oh, ich habe nur ein paar Heilworte gesprochen«, erwiderte Cadvan, der damit aus einer tiefen Grübelei hochruckte. »Es stimmt nicht, dass Leiden gut für die Seele ist. Zu viel Leid bricht selbst den stärksten Menschen.« »Was ist hier geschehen? War es die Weiße Krankheit?«
»Ja. Sie ist entsetzlich, und sie wütet in ganz Edinur. Es gibt wenige Heiler, die vermögen, ihr zuleibe zu rücken.«
Maerad hatte die Leute in Busk über diese Krankheit reden hören. Cadvan selbst hatte nicht davon gesprochen, als sie vor Monaten durch Edinur gelangt waren, obwohl Maerad schon damals durch die Schatten der Nacht die Narben der Seuche erkannt hatte.
»Die Weiße Krankheit ist erst vor zwei Jahrzehnten in Annar aufgetaucht«, erklärte Cadvan. »Ich persönlich vermute, dass sie in Den Raven geschaffen wurde, um die Starken zu töten und den Geist jener zu brechen, die überleben. Die Ergebnisse hast du ja gesehen. Am wahrscheinlichsten sterben die Jungen und Kräftigen daran. Wenn man daran erkrankt, erblindet man zunächst, danach verliert man den Verstand. Diese Häuser wurden wahrscheinlich von denen
Weitere Kostenlose Bücher