Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Säuglinge wurden beim Rest untergebracht; nur sehr wenige überlebten, obwohl die älteren Kinder versuchten, sich um sie zu kümmern. Hem suchten zahlreiche Erinnerungen an kleine, bläuliche Leichname heim, die morgens hinausgeschafft worden waren. Manchmal war das, was die Kinder einander antaten, schlimmer als die Vernachlässigung und die sorglose Grausamkeit der Erwachsenen, die das Waisenhaus betrieben; unter den Waisenkindern herrschte eine strenge Rangordnung, die mit Prügel und Spott durchgesetzt wurde - Schwächen wurden rasch erkannt und ausgenutzt. Es gab nie genug zu essen, und die Kinder erkrankten und starben oft an den Seuchen, die sich rasend in den überfüllten Gebäuden ausbreiteten. Nur die Hartgesottenen überlebten dort; zu denen Hem glücklicherweise zählte.
Er war von einem Untoten aus dem Waisenhaus geholt und zu einem feinen Haus gebracht worden, wo er zum ersten Mal, so weit er zurückdenken konnte, in sauberen Laken geschlafen und genug zu essen gehabt hatte. Dennoch hatte er sich gefürchtet: Die Menschen in jenem Haus wirkten bedrohlich und kalt, und später fand er heraus, dass sie alle Untote waren. Sie hatten versucht, ihn in einen der ihren zu verwandeln, indem sie ihn mit ihrer Unsterblichkeit lockten. Dafür bewiesen sie ihm, dass Untote nicht starben: Selbst wenn man einem Untoten ins Herz stach, stand er lächelnd wieder auf, und die Wunde schloss sich unverzüglich. Allerdings lehnte sich ein Instinkt in Hem gegen ihre Überredungsversuche auf. Obwohl diese in sanftem Tonfall und mit hehren, vernünftigen Worten erfolgten, jagten sie ihm eisige Schauder über den Rücken. Schließlich versuchten die Untoten während einer Mondfinsternis, Hem mit Gewalt in einen Schwarzen Barden zu verwandeln. Obwohl er sich nach Kräften bemühte, jene Nacht zu vergessen, erinnerte er sich mit entsetzlicher Klarheit daran, und auch sie tauchte in seinen Albträumen auf. Die Untoten hatten ihm befohlen, einen Jungen namens Mark zu töten, den er aus dem Waisenhaus kannte. Als er sich trotz ihrer schlimmsten Drohungen weigerte, metzelten sie das Kind selbst, zwangen Hem, dabei zuzusehen und verbrannten den Leichnam in einem magischen Feuer. Danach wurde Hem ohne Essen in seinem Zimmer eingesperrt und in Ruhe gelassen; er fürchtete sich zu sehr, um in der Dunkelheit auch nur zu schluchzen.
Am nächsten Tag hatten die Untoten das Haus verlassen, um irgendeiner üblen Machenschaft nachzugehen, und Hem wurde per Zufall durch zwei Pilanel gerettet, die das Haus ausraubten. Die Pilanel waren freundlich zu ihm gewesen und hatten ihn aufgrund seiner olivfarbenen Haut und Pilanel-Züge als einen der ihren betrachtet; doch die Untoten spürten sie in der Wildnis auf und metzelten die Familie gnadenlos nieder, die für ihn gesorgt hatte. Hem, der sich im Wagen der Pilanel versteckt hatte, hörte alles mit an.
Was ihn ebenfalls in seinen Albträumen heimsuchte. Nachdem er stundenlang in seinem engen Versteck verweilt hatte, in dem er sich zu sehr gefürchtet hatte, um sich hinauszuwagen, war er von Maerad und Cadvan gefunden worden. Danach hatte er festgestellt, dass nicht alle Barden Untote waren, wie er gedacht hatte. Die Erkenntnis, dass er eine Schwester hatte -jemanden, der zu ihm gehörte, der ohne Fragen die warmen Arme um ihn schlang, wenn er in seinen schwarzen Träumen weinte und erzitterte - war das Bedeutendste, was ihm in seinem ganzen Leben widerfahren war. Als er gezwungen gewesen war, sie zurückzulassen, hatte er das Gefühl gehabt, als würde sein Herz entzweigeschnitten. Es war ein Verlust, an den er nicht zu denken versuchte, weil er ihn zu sehr schmerzte.
Als das Zweitwichtigste, das ihm widerfahren war, betrachtete er seine Begegnung mit Saliman. Trotz seiner Sorgen um Maerad hatte ihm der Ritt nach Turbansk mit Saliman seinen ersten Geschmack echter Freiheit beschert. Den Großteil des Weges war das Wetter schön geblieben, und wenngleich sie Verfolger aus Norloch befürchtet hatten, waren Saliman und er auf keinerlei Gefahren gestoßen. Nachdem Hems Körper die erste schmerzliche Gewöhnung an einen Pferderücken hinter sich gehabt hatte - durch das Reiten wurden seine Beine so steif, dass er anfangs vermeinte, den Rest seines Lebens mit krummen Waden laufen zu müssen -, war die Reise ein ungetrübtes Vergnügen gewesen.
Hem wünschte sich oft, er könnte wieder mit Saliman durch die Berge des Osidh Am reiten, seinem Lieblingsabschnitt der gesamten Reise. Nachts hatten sie
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