Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
wo er gezwungen gewesen war, seine Bardenkräfte geheim zu halten, da jeder, den man der Hexensprache verdächtigte - der Bezeichnung der Unwissenden für die Hohe Sprache -, gesteinigt werden konnte. Und dennoch gebarte er sich im Unterricht als Tölpel und weigerte sich, seine Kräfte zu bündeln oder sich zu konzentrieren.
Zu Hems Bestürzung hatte Saliman kurz nach ihrer Ankunft in Turbansk die Stadt für ein paar Tage verlassen. Damals hatte Hem begonnen, sich wahrhaft abgekapselt zu fühlen. Saliman wollte ihm nicht verraten, wohin er reiste oder wann er zurückkehren würde, und trotz Hems Flehen nahm er ihn nicht mit. Hem empfand dies als Verrat; vielleicht als kleinen Verrat, dennoch Verrat. Saliman kehrte für einen Tag zurück, ehe er wieder verschwand, und Hem fühlte sich allmählich einsamer denn je zuvor. Während Salimans Abwesenheit zeigten die Barden von Turbansk sich Hem gegenüber freundlich, doch er fand dies beinah so verwirrend wie Turbansk selbst. Er war es einfach nicht gewohnt, mit Höflichkeit behandelt zu werden. Als sich zum ersten Mal ein Barde zum Gruß vor ihm verneigt hatte, war er vor Zorn rot angelaufen, da er glaubte, verhöhnt zu werden; doch zum Glück war Saliman bei dieser Gelegenheit zugegen gewesen, hatte ihn beiseite genommen und ihm erklärt, dass es sich um eine Sitte handelte und von ihm lediglich erwartet wurde, sich ebenfalls zu verneigen. Zumeist entlud sich Hems Verwirrung ohne Vorwarnung in jähen Wutausbrüchen. Seine wohl größte Schwierigkeit bestand darin, dass er kein Suderain sprach, was jedoch noch hätte überwunden werden können, hätte er nicht obendrein unter dem tief empfundenen Misstrauen fast aller um ihn herum gelitten. Binnen weniger Tage schrieben ihn seine Mitschüler als verdrießlich und angriffslustig ab, und ehe man sich’s versah, hänselten sie ihn, worauf er stets mit Gewalt antwortete. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Hem Irc rettete, hatte er sich bereits mit drei Jungbarden dermaßen heftig geprügelt, dass die Streithähne den Schulheiler aufsuchen mussten, und einmal hatte er gegen einen Mitschüler sogar Magie eingesetzt, was so streng verboten war, dass Urbika ihn scharf zurechtgewiesen hatte und wenn Hem etwas Derartiges je wieder täte, er endgültig hinausgeworfen würde.
All das ging Saliman durch den Kopf, während er einige Wochen nach Hems Eskapade in Alimbars Garten beim Abendessen über sein Mündel nachdachte. Hem erwies sich als schwierigere Verantwortung, als er erwartet hatte, wenngleich er seine Entscheidung, den Jungen mit nach Turbansk zu nehmen, nicht bereute. Unter seiner äußerlich zur Schau gestellten Verzweiflung hatte Saliman diesen schwierigen, aufgewühlten Knaben lieben gelernt, und er konnte die widerstreitenden Gefühle, die Hem zerrissen, mit dem auf Gespür beruhenden Verständnis eines Wahrheitsfinders nachvollziehen. WasSaliman hingegen nicht wusste, war, was er dagegen tun konnte.
Hem zeigte sich von seiner besten Seite, was bedeutete, dass er sich gebarte, als bestünde er aus Holz; angesichts seiner inneren Unruhe hatte er bereits einen vollen Weinkelch umgeschüttet.
Ich bin ein Heiler, dachte Saliman bei sich, und gelte in dieser Stadt als hervorragend in dieser Kunst; aber diese Wunden übersteigen meine Fähigkeiten. Vermutlich könnte ihn nur Maerad heilen … Unwillkürlich dachte er an Hems hellhäutige Schwester, auf ihre Weise beinah so geschädigt und einsam wie Hem; Saliman seufzte. Er hatte dafür gesorgt, dass er an jenem Abend allein mit Hem speiste, und Hem, der sich seiner Sünden bewusst war, präsentierte sich in der Gesellschaft des Barden ungewöhnlich angespannt und schweigsam. Erst an jenem Vormittag hatte der junge ein weiteres schwieriges Gespräch mit Urbika über sich ergehen lassen müssen, bei dem sie ihn geduldig gefragt hatte, weshalb er den Drang verspürte, seine einzige Begabung - jene für unbewaffneten Kampf - gegen seine Mitschüler einzusetzen.
Hem hatte stumm und mit finsterer Miene vor ihr gestanden. Er konnte ihr den Grund nicht anvertrauen - der darin bestand, dass Chyafa, der Jungbarde, dem er kurz davor ein blaues Auge verpasst hatte, ihn als dreckigen weißen hlaf bezeichnet hatte. Chyafa war Hems Hauptfeind in Turbansk. Er war ein kräftig gebauter, gut aussehender Junge, der sich für etwas Besseres hielt und seine Hänseleien derart beiläufig fallen ließ, dass sie Hem umso tiefer trafen. Die Beleidigung zu melden, hätte Hems Demütigung noch
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