Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
zu stehlen. Als sie aus dem Wald hervortraten, blinzelte er plötzlich in Sonnenlicht und starrte teilnahmslos auf eine graubraune Landschaft, die sich vor den niedrigen Hügeln erstreckte. Der Wald wurde von vereinzelten verkümmerten Bäumen abgelöst, danach von niedrigen Dornenbüschen, die das karge Grasland sprenkelten. Der Pfad wand sich über dürre Ebenen auf einen Fleck am Horizont zu, der ein kleines Dorf sein mochte. Dagra lag weit im Norden, das wusste Hem.
Er verspürte nur eine stumpfe Erleichterung. In jenem Augenblick wollte er in seinem ganzen Leben keinen Baum mehr sehen.
Dagra
Ohne Irc hätte Hem die nächsten sieben Tage vielleicht nicht überlebt. In den H ügeln hatte es Zeiten gegeben, da hatte er gedacht, er könnte nicht mehr weiter, und er hatte inständig bereut, nicht aus Sjug’hakar Im geflohen zu sein, als er die Gelegenheit dazu hatte. Mit der ernüchternden Klarheit der Verzweiflung betrachtete er seine Pläne und Rechtfertigungen - seine Vorstellung, dass er Hared und dem Licht gegen den Namenlosen helfen könnte oder dass Aussicht darauf bestünde, Zelika zu finden und zu retten -, und musste erkennen, dass sie blanke Torheit waren. Zu denken, er könnte Den Raven betreten und nicht nur überleben, sondern auch wieder daraus entkommen und zu seinen Freunden zurückkehren, glich an Wahnsinn grenzendem Hochmut. Sein Tod, so dachte er, war nur noch eine Frage der Zeit.
Und mittlerweile war es zu spät, um noch umzukehren.
In der ersten Nacht nach den Glandugir-Hügeln versuchte er gerade einzuschlafen und wälzte sich auf dem harten Boden hin und her, als etwas fragend seinen Geist berührte. Hem zuckte zusammen und schaute wild um sich, weil er glaubte, ein Untoter hätte seine Gegenwart entdeckt; dann jedoch wurde ihm klar, dass kein Untoter sich so anfühlen konnte. Nur ein Wesen auf der ganzen Welt vermittelte jenes bestimmte Gefühl: Irc, die Weiße Krähe, Lios Hlaf, sein Freund.
Tollkühn, denn mit Untoten in der Nähe war es äußerst gefährlich, schmiedete Hem einen magischen Schild und sandte einen Ruf zu Irc. Die Krähe antwortete sogleich, und Hem spürte, dass Irc sich sehr nahe befand, höchstens hundert Spannen entfernt.
Hallo, Federgehirn, begrüßte ihn der Vogel. Tut es dir inzwischen leid? Irc. .’Hem hatte das Gefühl, als schmölzen seine Eingeweide vor Dankbarkeit und Freude. Beim Licht, was machst du hier?
Ich dachte, jemand sollte dir folgen und dafür sorgen, dass du nichts Dummesanstellst, erwiderte Irc. Jemand Kluges. Wie ich.
Hem war so überwältigt, dass er nichts zu sagen wusste, aber durch die Nähe der Gedankenberührung kamen seine Gefühle auch so klar zum Ausdruck. Ich wusste, dass du es bereuen würdest, meinte Irc selbstgefällig. Hared würde dich am liebsten umbringen, aber er sagte, wahrscheinlich würdest du getötet werden, bevor er dich in die Finger kriegen kann, was er zutiefst bedauert.
Der Gedanke an Hareds hilflose Wut bändigte Hems wirbelnde Gefühle, und er hätte beinah vor Gelächter geprustet.
O Irc, sagte er. Du hättest mir nicht folgen sollen. Trotzdem bin ich so froh, dass du es getan hast, so froh.
Hared fand, ich sollte es tun. Er sagt, ich bin ein sehr kluger und tapferer Vogel. Hem konnte fast sehen, wie Irc vor Stolz das Gefieder aufplusterte.
Aber- aber wie bist du durch den Wald gelangt?, fragte Hem, der über die Eitelkeit seines Freundes lächeln musste.
Gar nicht. Ich habe ihn überflogen. Dorthin kehre ich nie zurück. Ich wusste, dass ich dich auf dieser Seite davon finden würde. Und ich habe eine Botschaft von Hared. Da die Bluthunde jetzt weg sind, wird er sich das Lager ansehen, und er meinte, er würde uns in drei mal vier und zwei Tagen in Sjug’hakar Im erwarten.
Das war Ircs Zählweise für vierzehn Tage. Es schien knapp, konnte aber zu schaffen sein, wenn Hem in Dagra von den Bluthunden flüchtete. Wenn er rasch und mit Magie reiste, wäre es möglich, nicht gefasst zu werden und alleine den Rückweg anzutreten. Zweifellos würde es gefährlich werden, aber plötzlich hatte Hem das Gefühl, dass alles möglich sei. Auch eine freundliche Stimme an diesem schrecklichen Ort war zuvor unvorstellbar gewesen, dennoch hatte ihn eine erreicht.
Kannst du den Bluthunden einfach folgen?, erkundigte Hem sich. Kommst du zurecht ? Ja, antwortete Irc. Ich bin ein kluger Vogel.
Ja, das bist du. Und tapfer und wunderbar. Hem spürte, dass in der Nähe etwas erwachte, und fügte hastig hinzu: Ich muss
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