Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
aufhören, Irc.
Ich werde dich im Auge behalten, Federgehirn. Die Gedankenberührung brach ab. Aber in jener Nacht schlief Hem gut und wurde von keinen bösen Träumen gequält. Nach Dagra war es ein anstrengender Siebentagesmarsch. Obwohl sie die Glandugir-Hügel hinter sich gelassen hatten, erwartete sie keineswegs eine gefahrlose Reise. Den Raven befand sich, wie Hem erkannte, in den Klauen einer Art Bürgerkrieg. Als sie in besiedelte Gebiete vorstießen, begegneten sie Gruppen bewaffneter Soldaten, die Brücken und Kreuzungen bewachten. Zumeist wurden sie unbehelligt durchgewunken, aber einmal gab es ein kurzes Geplänkel, bei dem die Untoten die Wachen töteten. Danach ließen sie die Bluthunde ohne Erklärung in die Richtung zurückmarschieren, aus der sie gekommen waren, und schlugen eine andere Straße ein. Hemversuchte, die Untoten zu belauschen, um herauszufinden, was geschehen war, doch es erwies sich als zu schwierig, und so war er wie all die anderen Bluthunde gezwungen, Mutmaßungen anzustellen. Er vermutete, dass sie beinahe in feindliches Gebiet geraten wären - in jenes derer, die Imank statt dem Namenlosen treu ergeben waren.
Zu Hems Überraschung entpuppte sich der Großteil des Landes als nicht so verseucht wie die Glandugir-Hügel. Er hatte erwartet, dass jene Krankheit sich bis nach Dagra fortsetzen würde, doch zu seiner überwältigenden Erleichterung schwanden seine Krämpfe zu einer leichten Übelkeit. Sein körperliches Elend beschränkte sich vorwiegend auf Erschöpfung, Hunger und Kälte. Das Wetter blieb klar, doch das bedeutete frostige Nächte, in denen die Bluthunde um die wärmsten Plätze dicht an den Feuern kämpften, und wenn sie erwachten, waren ihre Decken steif vor Raureif. Hem fühlte sich zu müde, um das Wagnis einzugehen, Magie anzuwenden, außer wenn er seine Tarnung erneuern musste. Durch Übung war er besser darin geworden, und er dankte seiner Voraussicht, sein Äußeres nicht völlig zu verändern, dennoch blieb es ein käftezehrender, langwieriger und gewagter Vorgang. Um seinen Hunger zu besänftigen, griff er auf ältere Fähigkeiten als Magie zurück, die er in seiner Zeit als ausgehungertes Waisenkind verfeinert hatte: Er stahl Essen von den anderen Bluthunden, während sie schliefen. Die Diebstähle wurden zwar bemerkt und verursachten einige heftige Streitigkeiten, aber niemand verdächtigte den Einfaltspinsel Schwertschwinger.
Während des Marsches durch Den Raven bot sich Hem mehr Gelegenheit, unter den Bluthunden nach Zelika Ausschau zu halten. Es erwies sich als fruchtloses Unterfangen: Er konnte sie nirgends entdecken. Vielleicht, so grübelte er, hatte sie sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, was durchaus denkbar schien; oder vielleicht war sie in den Glandugir-Hügeln zurückgelassen oder getötet worden. Die letzteren Möglichkeiten ängstigten ihn so sehr, dass er trotz aller Gefahr erneut versuchte, nach ihr zu tasten, wie eres in Sjug’hakar Im getan hatte. Diesmal gestaltete es sich wesentlich schwieriger, dennoch spürte er wieder denselben Funken, verdeckt von Hexerei und Angst, trotzdem immer noch vorhanden. Sie befand sich irgendwo unter den Bluthunden, doch er hatte nach wie vor keine Ahnung, wo. Einen weiteren Versuch wagte er nicht.
Hem achtete auf alles, was er sah, so gut er konnte und legte es für später in seinem Gedächtnis ab. Überwiegend reisten die Bluthunde an riesigen Gehöften vorbei, die von langen Reihen dunkel gekleideter Arbeiter bestellt oder abgeerntet wurden. Manchmal fiel Hem auf, dass sie mit Fußfesseln um die Knöchel schufteten und von Hundsoldaten bewacht wurden; andere waren zwar nicht angekettet, wurden jedoch von Männern mit Peitschen beaufsichtigt. Der Tross der Bluthunde passierte lange, niedrige Hütten, in denen die Arbeiter wohnten und die den Hüten in Sjug’hakar Im glichen. Den Raven war tatsächlich, wie Saliman gesagt hatte, ein einziger, riesiger Kerker.
Eines Vormittags marschierten sie durch eine kleine Ortschaft mitten auf deren Hauptstraße. Hem warf dabei verstohlene Blicke um sich. In Edinur hatte er Armut kennen gelernt, doch hier offenbarte sie sich ihm in anderem Maßstab. Die Gebäude waren schäbig und armselig, kaum mehr als Katen, die sich gegenseitig stützten, überdacht mit erbeuteten Holzstücken, Brettern oder Stein. Die Straße stank wie ein Misthaufen und war von tiefen, mit eisigem Wasser gefüllten Furchen durchzogen. Zerlumpte Kinder glotzten sie mit vor Angst
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