Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
geweiteten Augen hinter verfallenen Zäunen oder moosbewachsenen Wasserfässern hervor an. Schmerzlich fiel Hem auf, dass sich unter ihnen keine Bälger zu befinden schienen, die älter als neun Jahre waren. Irgendjemand hatte neben einen Hütteneingang eine blühende Geranie in einem Topf gestellt, die in dem Elend ringsum unpassend bunt wirkte. Ein Stück weiter die Straße entlang sah Hem einen Zaun, den einst das Bild eines frei über grünes Gras laufenden Schimmels geziert hatte. Die Farbe war abgescheuert worden, aber die Umrisse hatten sich gleich einem gespenstischen Zeichen von Trotz gehalten. Sonst jedoch zeugte wenig von gutem Mut oder Hoffnung.
In der Mitte der Ortschaft standen zwei Prunkbauten, die auf einem großen Grundstück hinter hohen Steinmauern mehrere Stockwerke aufragten. Sie bildeten einen erschütternden Gegensatz zu der elenden Armut der restlichen Ortschaft. Hem starrte die Gebäude erstaunt an: Selbst die Torpfosten hatte man vergoldet. Trotz allen Pomps fand er die Bauwerke hässlich, zudem gefielen ihm die Meißeleien absonderlicherTiere nicht, die den oberen Rand der Mauern säumten. Tatsächlich handelte es sich um Wachbanne, die böswillig über dem Wohlstand kauerten, den die Häuser ausstrahlten. Plötzlich fiel ihm ein, was Saliman ihm vor langer Zeit in Turbansk über Den Raven erzählt hatte:
Die Allsehenden Augen halten die Hände auf sämtliche Vorräte; sie selbst leben gut. Die Menschen hingegen darben, erhalten nur genug zum Überleben. Wer die Gunst der Untoten erringt, dem kann es natürlich wesentlich besser ergehen; einige, die Grin, leben in schändlichem Überschwang und sind selbst kleine Gewaltherrscher. Sie sind dem Namenlosen nützlich, und so duldet er sie… Aber nichts in Den Raven wird zum Vergnügen oder der Schönheit willen angebaut oder hergestellt, und selbst den Müßiggang der Grin kennzeichnen Verderbtheit und Grausamkeiten.
Vermutlich gehörten diese Häuser solchen Grin. Dass sie im Besitz von Untoten standen, schien eher unwahrscheinlich, denn Untote machten sich nichts aus Prunk. Hem war froh, dass die Untoten danach weitere Ortschaften und Dörfer anscheinend mieden. Er empfand sie als noch bedrückender als die Landschaft, die an sich schon bedrückend genug war.
Innerhalb weniger Tage wandelte sich die Umgebung. Zunächst tauchten vereinzelte Bäume auf, dann ganze Haine, obwohl der Tross sich ihnen zu Hems Erleichterung nicht näherte. Selbst aus der Ferne spürte er in ihnen eine Krankheit gleich jener der Glandugir-Hügel. Er fragte sich, was diesem Land widerfahren sein mochte, dass einzelne Flecken davon so verderbt waren. Wo die Wäldchen sich befanden, schimmerte der Himmel nachts mit einem trüben, gespenstischen Rot. Mittlerweile marschierten sie stetig bergauf. Im Norden konnte Hem im Dunst einen schartigen Gebirgsrücken erkennen. Je nach Licht änderten die Berge die Farbe: Bald schimmerten sie rot, bald purpurn. Manchmal, an stark bewölkten Tagen, verschwanden sie vollends. Hem erinnerte sich an seinen Traum über den Ehernen Turm: Er musste im Schatten ebenjener Berge stehen. Sie näherten sich ihm. Die Wege wurden stärker bereist und von staubigen Bäumen gesäumt. Die Hauptstraßen waren breit und manchmal mit Steinen gepflastert wie Bardenstraßen. Gelegentlich wurden die Bluthunde vom Pfad gescheucht und mussten warten, bis die Reihen der Soldaten und auf Irzuks reitenden Hundsoldaten an ihnen vorübergezogen waren. Wenn sie hingegen unterwegs Bauern oder Dorfbewohnern begegneten, hatten stets die Bluthunde Vorrang; bei solchen Gelegenheiten stolzierten sie hochmütig und großspurig und hohnlächelten den unsoldatischen Pöbel an, der eilig den Weg für sie freigab. Sie passierten mehrere provisorische Lager, Reihen graubrauner, auf einstigem Ackerland aufgeschlagener Lederzelte. Die Ortschaften und Dörfer häuften sich, wenngleich die Untoten die meisten davon mieden.
Die Bluthunde zeigten reges Interesse an den Soldaten, denen sie begegneten, und stellten hemmungslos Mutmaßungen über ihre Ziele an. Einige meinten wissend, sie wären nach Kulkilhirien im Westen unterwegs -jenem Wüstenort am Kulkil-Pass, an dem der Namenlose seine Armeen scharte, bevor er sie auf Feldzug entsandte. Hem, der dies für wahrscheinlich hielt, nahm an, sie sollten sich auf den Marsch nach Annar oder Car Amdridh vorbereiten. Andere hingegen zogen in die entgegengesetzte Richtung, und er fragte sich, was das bedeuten mochte. Er
Weitere Kostenlose Bücher