Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
liebe«, bat er mit plötzlich klarer, kräftiger Stimme. »Sag ihr, dass wir uns an den Toren wiedersehen und dass ich an sie gedacht habe, als … Ich habe an sie gedacht…« Seine Stimme verlor sich, und Hem beugte sich über ihn. Tränen traten ihm in die Augen. »Ich werde es ihr sagen«, gelobte er inbrünstig und ergriff mit beiden Händen jene Hand Borans, die nicht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt war. »Ich werde es ihr sagen, ich verspreche es, ich werde es ihr sagen.« Doch Boran war bereits tot, starrte mit glasigen Augen ins Leere. Ein Tropfen Wasser fiel auf seine reglosen Züge, und Hem erkannte, dass er weinte.
Er blieb noch lange über Borans Leichnam gebeugt, bis Oslar ihn bemerkte, der sich um einen anderen Soldaten mit schweren Verletzungen kümmerte. Der alte Barde rief einen anderen Heiler herbei, der ihn ablöste, damit er selbst zu Hem gehen und ihn wortlos umarmen konnte. Hem brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Oslar hob ihn mit einer Kraft auf, die Hem ihm nicht zugetraut hätte, und trug ihn wie ein kleines Kind nach nebenan in einen winzigen Lagerraum, wo er ihn auf eine niedrige Bank setzte und mit dem Arm um seine Schulter neben ihm Platz nahm.
»Das war Boran, der Kaffeeverkäufer vom Markt«, sagte Hem, als er wieder in der Lage war zu sprechen. »Er … er … er ist gerade gestorben.«
Oslar nickte, musterte Hem mitfühlend und besorgt und ergriff die Hand des Jungen. »Ich denke, Hem, dass ich zu viel von dir verlange«, meinte erschließlich. »Du bist als Heiler eine solch erstaunliche ungeschulte Begabung, und wir haben solche Not … darüber habe ich vergessen, dass du noch ein Kind bist.«
Mit einer ungeduldigen Geste wischte Hem sich die Tränen aus den Augen. »Ich komme schon zurecht«, entgegnete er barsch. »Ich will helfen. Ich bin kein kleines Kind.«
»Aber ein Kind, Hem.« Oslar betrachtete ihn nüchtern. »Gewiss, ein ungewöhnliches Kind. Trotzdem ein Kind.«
»Ich hasse den Krieg«, platzte es unverhofft und leidenschaftlich aus Hem hervor. »Ich hasse all das Töten. Es ist bedeutungslos, eine solche … Verschwendung. Eine schlimme, eine entsetzliche Verschwendung …« Er spürte, wie neuerlich Tränen in ihm aufstiegen, ein ganzes Meer von Tränen, das dennoch niemals ausreichen würde, um seinem Kummer Ausdruck zu verleihen.
»Mein lieber, lieber Junge«, sagte Oslar. Er war zu weise, um Hem falschen Trost zu spenden, und hielt ihn stattdessen nur fest. Eine Zeit lang saßen sie schweigend da. Dann besann sich Hem, wo sie sich befanden, und er straffte die Schultern. »Ich halte Euch von den Menschen ab, die Euch brauchen«, sagte er. Mit noch vor Tränen verquollenem Gesicht schaute er zu Oslar auf. Der alte Barde bedachte ihn mit einem milden, freundlichen Lächeln, aus dem mehr Sorge als Freude sprach. »Es gibt keinen größeren Schmerz für einen Heiler, als gezwungen zu sein, Wunden zu versorgen, die er nicht heilen kann«, meinte er. »Du hast Recht, Hem. Es ist eine schlimme, eine entsetzliche Verschwendung.« Kurze Stille trat ein.
»Also, gehen wir zurück«, schlug Hem vor.
»Ich denke, du solltest nach Hause gehen«, entgegnete Oslar. »Zumindest eine Weile.« »Nein«, widersprach Hem. Er stand auf und sah Oslar mit vor Entschlossenheit steifem Körper ins Gesicht. »Nein, Oslar. Ihr braucht mich hier, das sagt Ihr selbst. Ich kann nicht nach Hause gehen - dadurch würde ich mich nur noch schlimmer fühlen. Lasst mich bleiben.«
Oslar musterte Hems Züge eingehend, als prüfe er ihn, dann lächelte er abermals traurig. »Wie du willst, mein Junge. Du hast Recht, ich brauche deine Hilfe.« Auch er erhob sich schwer seufzend. Zusammen kehrten ,sie wortlos in die Mohnkammer zurückund nahmen die Arbeit wieder auf.
In jener Nacht gesellte sich Saliman zum Abendmahl zu Zelika und Hem. Als er den Raum betrat, schaute Hem scharf auf.
»Was ist geschehen?«, fragte er, noch bevor er sie begrüßte. »Heute ist doch etwas geschehen, oder?«
»Oh«, erwiderte Hem unglücklich. »Der Kaffeeverkäufer vom Markt, Boran, wurde heute gebracht, und er ist gestorben.« Hem mied Salimans Blick; ihm war nicht danach zu Mute, darüber zu reden.
Saliman wartete, ob Hem noch etwas hinzufügen würde, doch als der Junge still blieb, bohrte er nicht weiter nach. Zelika, die stumm dagesessen hatte, seit sie nach Hause gekommen waren, schaute mit plötzlichem Mitgefühl zu Hem.
Während sie aßen, herrschte Stille. Im Verlauf der Mahlzeit flatterte
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