Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Irc durch das offene Fenster, landete schwer auf dem Boden, stakste zu Hems Fuß und pickte ihn behutsam in den Knöchel.
»Ach, geh weg«, stieß Hem mit belegter Stimme hervor und trat nach dem Vogel. Mit einem erschrockenen Krächzen flatterte Irc davon, betrachtete den Jungen argwöhnisch aus sicherer Entfernung und putzte sich das Gefieder.
Saliman beugte sich vor und ergriff Hems Unterarm. »Hem«, sagte er. Der Junge wollte weder antworten noch aufschauen. »Hem, sieh mich an.« Widerwillig blickte Hem Saliman in die Augen. Was sollte er sagen? Wie leid es ihm tat? Natürlich tat es ihm leid. Er sah jeden Tag so schlimme Dinge oder noch schlimmere. Jedem tat es leid … Doch Saliman küsste nur die Stirn des Jungen. Hem spürte seine Lippen warm auf der Haut, und durch den Kuss erblühte im frostigen Herzen des Jungen langsam ein Licht gleich einem goldenen Lotus.
»Sei auf der Hut, Hem«, mahnte Saliman und ließ seinen Arm los. »Letzten Endes istes allein die Finsternis in unseren eigenen Herzen, die uns besiegt.«
Hem nickte verwundert und spürte eine neue Ruhe in sich. Allmählich begann er zu verstehen, weshalb Oslar mit solchem Respekt von Saliman sprach; Heilen war ebenso eine Angelegenheit des Geistes wie des Körpers. Er schaute zu Irc hinüber, der ihm den Rücken zugekehrt hatte und sich eingeschnappt das Gefieder putzte.
Irc, es tut mir leid, entschuldigte sich Hem.
Irc erwiderte darauf die Entsprechung zu >Hmpf<.
Komm schon her, du dummer Vogel. Ich habe Torna für dich.
Torua, einem gewürzten Fleischgericht, konnte Irc nie widerstehen. Er schwenkte den Kopf über die Schulter und musterte Hem frostig mit starren, gelben Augen. Hem streckte ihm das Fleisch entgegen. Übertrieben würdevoll stakste Irc zu Hem und nahm den Brocken geziert in den Schnabel. Er war eindeutig zutiefst beleidigt. Du redest ja immer noch nicht mit mir, stellte Hem fest. Naja, ganz wie du willst. Du hast mich getreten, gab Irc zurück und plusterte entrüstet das Federkleid auf. Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leid tut.
Irc schluckte den Torua-Brocken und wetzte den Schnabel an Hems Sandale, was dem am nächsten kam, was Hem als Zeichen der Vergebung erhalten würde. Hem hob ihn auf seinen Schoßund kraulte ihn am Hals. Irc streckte ihm den Kopf entgegen und schloss langsam vor Wonne die Augen.
»Tja, wenigstens ist irgendjemand glücklich«, meinte Zelika scharf. »Und der Rest von uns kann indes herumsitzen und darauf warten, getötet zu werden.« Dann legte sie den Kopf auf die Arme und brach in Tränen aus.
Hem starrte sie an, verdutzt über ihren Gefühlsausbruch. Gewiss, Zelika hatte sich an jenem Abend sehr still verhalten, aber ihm war nicht klar gewesen … Er stellte Irc wieder auf den Boden, stand unsicher auf und legte ihr die Hand auf den Rücken, um sie zu trösten, doch sie stieß ihn weg und schaute auf. Ihr Gesicht glich einer zerknitterten Maske des Jammers.
»Ich - ich habe keine Angst davor zu kämpfen«, sagte sie, von Schluckauf unterbrochen. »Ich will kämpfen. Aber diesesWarten, Tag für Tag für Tag … Das ist so schrecklich. Ich habe das Gefühl, als fiele mir die ganze Stadt langsam auf den Kopf.«
Saliman hatte die beiden Kinder mit nicht zu deutenden Zügen beobachtet. »Belagerungen können Monate dauern«, meinte er schließlich. »Wir haben genügend Vorräte, um durch den Winter zu kommen, wenn wir so lange standhalten.« »Ich weiß.« Zelika setzte sich auf und wischte sich das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Ich weiß das.«
»Allerdings glaube ich nicht, dass diese Belagerung so lange dauern wird«, fuhr Saliman fort. »Wir hatten gehofft, die Schwarze Armee zumindest ein paar Monate abwehren zu können, um Car Amdridh eine Atempause zu verschaffen. Aber Imank hat den Schraubstock erst zweimal enger gedreht, und schon erzittert die Stadt. Dabei hält er seine größte Stärke noch zurück. Aus seiner Taktik spricht erheblicher Hochmut, würde ich sagen: Imank ist sich des Sieges völlig sicher und kann darauf warten; er kann warten, bis wir unter dem eigenen Gewicht zerbröckeln. Dann erst wird sich Imank in Bewegung setzen.«
»Was bedeutet das?«, fragte Hem. Während seiner Tage in den Heilhäusern hatteer das Gefühl für die Zeit und dafür verloren, was in der Stadt insgesamt vor sich ging. Ihm schien, dass Turbansk schon ewig unter Belagerung stand. Wenn er jedoch zurückdachte, wurde ihm klar, dass seit der Ankunft der Schwarzen Armee erst etwa ein
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