Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
starrte Saliman an. »Soll dasheißen, Juriken hat das Erdbeben verursacht?«, fragte er mit kippender Stimme. Er dachte an seinen letzten Anblick des Barden zurück, bei dem er gespürt hatte, dass etwas Entsetzliches geschehen würde. Allerdings hätte er sich nichts dergleichen auszumalen vermocht.
»Ja«, bestätigte Saliman mit leiser Stimme. »Hier haben wir nur die äußeren Ränder seiner Macht gespürt; wir sind weit genug entfernt, um ihrem vollen Zorn entgangen zu sein. Turbansk müsste nun einem Ödland aus Geröll gleichen. Darin bestand unser Plan. Wir wollten angreifen und uns danach zurückziehen, um die Schwarze Armee nach Turbansk zu locken. Sobald sie sich innerhalb der Mauern befanden, sollte der träge Zorn der Erde heraufbeschworen werden, um die Stadt auf die Köpfe von Imanks Streitkräften einstürzen zu lassen. Von uns allen besaß allein Juriken die Macht dazu. Nun ist es vollbracht, und er ist tot.«
»Das wusste ich nicht«, meldete Soron sich mit bedrückter Stimmte zu Wort. Er saß mit den Händen um den Knien da und wiegte sich seitlich hin und her. »Ich wusste nicht, was er zu tun gedachte, sehr wohl aber wusste ich, dass ich Juriken nicht wiedersehen würde.«
»O Juriken, den ich geliebt habe wie einen Bruder«, sagte Saliman. Er schaute zum Himmel auf, und Hem sah, dass ihm Tränen über die Wangen rollten. »Ich vermag seinen Verlust nicht auszusprechen: Er reicht tiefer als Worte, tiefer sogar als jedes Lied. Ich habe keine Worte für Juriken, meinen Freund und Meister. Juriken von Turbansk, den größten aller Barden; Juriken, den ich geliebt habe.«
Er neigte das Haupt. Hem, erfüllt von Verwunderung und Ehrfurcht, tat es ihm gleich. Der Gedanke daran, was Juriken getan hatte, der Mut und die Rücksichtslosigkeit,die darin lagen, ließen sein Herz erkalten.
Nach langem Schweigen ergriff Saliman wieder das Wort. »O Turbansk, Turbansk, du Stadt meiner Geburt. Die Stadt, in der ich als Kind wandelte und zu einem Mann heranwuchs; Stadt der Erinnerungen und der Lieder, uralt, wunderschön und ewig jung. Nie wieder werde ich durch die überdachten Straßen der Märkte schlendern, um Persimone zu kaufen, nie wieder vom Roten Turm auf die Pracht der Jiela-Zedern hinabblicken; nie wieder mit meinen Freunden in duftenden Gärten essen und lachen. Alles ist verloren, verloren, verloren. Wie das Gras auf dem Hügel welkt, wie der Frühlingswind unsere Wangen küsst und niemals zurückkehrt, so ist meine Stadt vergangen. All ihre Schönheit ist zerschmettert und wird nie zurückkommen …«
Und wie es geborene Barden zu tun pflegten, sprach Saliman seinen Kummer aus und verwandelte ihn in ein Lied. Die anderen lauschten inmitten des von Vögeln beseelten Grüns seiner Klage, voll Ehrfurcht, Angst und Gram.
Teil drei
Nal-Ak-Burat
Vor dem Schrein von Nyanar
Beugte Eribu sein Haupt,
Und die Elidhu sprach zu ihm:
Gehe fort aus dieser Stadt,
Nicht in Verbannung, sondern in Hoffnung,
Auch wenn Tränen dein Gesicht benetzen.
Nun werde ich fortgehen aus dieser Stadt, Sprach Eribu.
Nicht in Verbannung, sondern in Hoffnung.
Auch wenn Tränen mein Gesicht benetzen.
Ich fürchte, ich werde nie mehr wieder
Die lichterfüllten Paläste von Nak-Al-Burat sichten.
Ich fürchte, ich werde nie mehr wieder
In dem Tempel der Träume stehen.
Ich fürchte, ich werde nie mehr wieder
Meine Söhne und meine Töchter berühren.
Und Nyanar sprach:
Ich werde nicht sagen, fürchte dich nicht.
Furcht ist das andere Gesicht der Hoffnung.
Fragment aus Das Eribu-Epos, Bibliothek von Turbansk
Die drei Tore
Saliman zeichnete mit dem Zeigefinger eine Landkarte in den Sand. »Das ist Turbansk«, erklärte er und machte einen Punkt. »Das ist das Meer von Lamarsan. Letzte Nacht sind wir unter dem Meer erst nach Süden gegangen und haben uns dann nach Norden gewandt. Der Il-Dara-Wall befindet sich etwa zwanzig Wegstunden nordöstlich von hier, die Neera-Sümpfe beginnen ungefähr eine Wegstunde entfernt. Wir sind derzeit in Savitir und müssen dorthin.« Er deutete auf einen Punkt östlich seiner behelfsmäßigen Karte. »In die Nähe von Nazar, unmittelbar jenseits des Undaras.«
»Also halten wir uns in erobertem Gebiet auf«, stellte Zelika fest und beugte sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn vor, um die Karte besser zu sehen. »Wie können wir von hier aus dorthin gelangen? Werden die Spitzel der Schwarzen Armee uns nicht sehen?« »Wenn wir versuchten, uns über der Erde
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