Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
das Gefühl habe, sterben zu müssen«, sagte sie. »Können wir uns eine kurze Weile ausruhen?«
Hem hatte dieselbe Frage stellen wollen. Sehnsüchtig spähte er zu Saliman. »Wir können uns ausruhen, sobald wir hier draußen sind«, antwortete der Barde. »Den härtesten Teil haben wir hinter uns, aber noch können wir nicht rasten.« Hem blickte auf seine zitternden Beine hinab, dann holte er tief Luft und stand auf. »Na schön«, schnaufte er.
Sie alle tranken einen Schluck Medhyl, danach stolperten sie lange Zeit den Strand entlang. Das Geräusch ihrer Schritte hörte sich in dem riesigen Raum dumpf und seltsam an. Schließlich führte Saliman sie in eine weitere Höhle. Zu Hems Erleichterung ging es zum ersten Mal, seit sie den Gang der Könige betreten hatten, aufwärts. Allerdings währte seine Erleichterung nur kurz, denn der Hang wurde steiler und steiler, bis sie beinahe klettern mussten. Hem biss die Zähne zusammen und versuchte, den Schmerzen in seinem Körper keine Beachtung zu schenken. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie lange er noch durchhalten könnte. Gelegentlich vermeinte er zu spüren, wie der Boden unter seinen Füßen erschauderte, und er war überzeugt davon, dass jenes tiefe Ächzen, das ihn so beunruhigte, zunehmend lauterwurde. Andererseits fühlte er sich vor Erschöpfung so benommen, dass er sich bei nichts mehr völlig sicher sein konnte.
Schließlich endete das Klettern, und das Dach der Höhle entfernte sich von ihren Köpfen. Der gewundene Weg führte immer noch bergauf, jedoch in einer sanften Steigung. Hem kämpfte sich mit einem Schwall frischer Kraft weiter: Gewiss mussten sie sich nunmehr auf dem Weg nach draußen befinden. Doch dann schien die Höhle in eine Sackgasse zu münden, und sein Mut sank.
Sie hielten an der Wand an. Zelika warf Hem einen Blick der Bestürzung zu. Saliman deutete auf ein Loch zu ihren Füßen. »Wir müssen da durchkriechen«, verkündete er. »Einer nach dem anderen - es ist nicht weit. Hem, erklär es Irc, damit er sich nicht zu sehr fürchtet. Wir sind fast da.«
Hem fragte sich kurz, was »da« bedeuten mochte, während er Irc geduldig beibrachte, dass sie eine weitere kleine Höhle durchqueren mussten und er nicht in Panik verfallen dürfe. Irc, der vor Angst schwieg, schmiegte sich noch fester an Hems Hals. Der Vogel war erschöpft. Seine Beine schmerzten noch von dem, was Zelika damit angestellt hatte, und nun durchlebte er einen endlosen Albtraum, der ihn glauben ließ, er würde nie wieder den Himmel sehen. Soron war mit der Lampe vorausgegangen, sodass völlige Schwärze herrschte, daher entfachte Hem ein magisches Licht. Er war so müde, dass er selbst mit jenem kleinen Zauber zu kämpfen hatte. Dann trug er Irc streng auf, als Erster zu gehen, bückte sich und robbte in das Loch.
Saliman hatte Recht: Der Tunnel erwies sich als kaum länger als ein Mensch, und als Hem aus dessen Ende krabbelte, plumpste er ein kurzes Stück auf einen Boden aus nasser Erde hinab. Langsam stand er auf und stellte fest, dass er sich in einer rauen, schwach erhellten Höhle befand.
Hems Augen sahen seit einer ganzen Weile abwechselnd verschwommen und scharf, und zunächst war er nicht sicher, ob er es sich einbildete: Konnte das Tageslicht sein? Dann fiel ihm auf, dass die Luft deutlich frischer war als die reglose, stickige, die unter der Erde vorherrschte. Dennoch konnte er nicht wirklich glauben, dass sie das Ende ihrer Reise erreicht hatten, bis Irc ein leises Krächzen ausstieß, von seiner Schulter sprang und auf das Licht zuflatterte. Die Krähe kauerte sich auf einen Stein in der Nähe des Höhleneingangs, plusterte das Gefieder auf und schaute zurück.
Eifrig folgten sie Irc, und binnen kurzer Zeit standen sie am Eingang. Lange blühende Ranken hingen von oben herab und regten sich in einem leichten Wind. Alles, was Hem sehen konnte, waren Blätter, Schleier um Schleier aus Blättern jeder erdenklichen Schattierung von Grün. Nach den von Lampen erhellten Tunneln fühlte er sich ob der Farben nachgerade trunken. Von den Bäumen und Büschen troff Wasser, als hätte es gerade erst zu regnen aufgehört, und von der Erde stieg ein feuchter, schwerer Geruch verwesenden Pflanzenwuchses auf.
Hem schaute himmelwärts und stellte fest, dass sie sich unmittelbar über dem Boden einer schmalen Schlucht befanden. Zu beiden Seiten ragten hohe Steilwände auf. Die Sonne konnte er zwar nicht sehen, aber es fühlte sich an, als wäre sie erst unlängst
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