Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Hem. »Ich dachte, du hättest ihn nur…« »Er ist tot, ja«, fiel Saliman ihm ins Wort. »Ich habe ihm das zugedacht, was er uns anzutun gedachte. Wäre ich ein besserer Mensch, hätte ich es nicht getan. Aber das bin ich nicht.« In Salimans Augen stand ein gefährliches Funkeln, das Hem davon abhielt, weiter darüber zu sprechen. Diese Seite von ihm hatte Hem noch selten erlebt, und sie ängstigte ihn. Salimans Wut erwachte nur langsam, doch wenn sie es tat, war sie gnadenlos.
»Was sollen wir jetzt tun?«, wollte Hem wissen.
»Um ehrlich zu sein, Hem, ich fürchte, eine Weile kann ich nicht weiter. Ich habe mich noch nicht so von der Krankheit erholt, wie mir lieb wäre, und dieser Einsatz von Magie hat mich ausgelaugt, ganz zu schweigen von dem wilden Galopp querfeldein. Ich gäbe viel dafür zu erfahren, wer diese Soldaten sind. Zweifellos werden sie uns verfolgen.«
»Irc sagte, er würde nach ihnen Ausschau halten«, erklärte Hem.
»Ach ja?« Saliman lächelte. Seine Zähne blitzten in der Düsternis unter den Bäumen weiß auf, und der alte Saliman war zurück. »Ich habe mich schon gefragt, was aus unserem gefiederten freund geworden ist. Zu Irc würde ich das nie sagen, weil er es mir ewig unter die Nase reiben würde, aber er ist der beste Kundschafter, den ich je hatte.«
Bald darauf tauchte Irc wieder auf, als sie gerade ein notdürftiges Lager errichteten. Er flog unter den Eichen hindurch, kauerte sich auf einen Ast und beobachtete, wie Hem den getrockneten Schweiß aus Ushas Fell striegelte. Dabei berichtete er, dass er dem Reiter gefolgt war, der dabei war, den Wald zu verlassen.
Nur einer?, fragte Hem.
Ich habe sonst niemanden gesehen, antwortete Irc. Und ich bin hungrig. Er legte den Kopf schief und musterte Hem mit einem Auge. Wo ist der Hund? Ist er weggerannt?
Er wurde von einem Soldaten getötet, erwiderte Hem knapp. Er fürchtete, Irc könnte etwas Unangebrachtes sagen, zumal er sich ständig mit Fenek gezankt hatte, doch stattdessen wurde Irc sehr still.
Ich bin traurig, verriet die Krähe schließlich. Für einen Hund war ergut. »Nur ein Reiter?«, wiederholte Saliman später, als sie etwas zu essen austeilten. Sie hatten sich zusätzlich zu den Mänteln in Decken gehüllt, da es im Schatten kalt war und sie nicht wagten, ein Feuer anzuzünden.
»Ja«, bestätigte Hem. »Sonst hat er niemanden gesehen.«
»Das beunruhigt mich«, meinte Saliman. Sie werden die Jagd nach uns nicht einfach so aufgeben. Und ich bin müde genug, um ein Dutzend Nächte durchzuschlafen.« Er seufzte. »Vorläufig sind wir hier sicher. Morgen, so denke ich, sollten wir versuchen, aus Desor zu gelangen. Fühlst du noch den Pfad, Hem?« Der Junge nickte. »Wenigstens sind wir jetzt auf der richtigen Seite des Gaus«, sagte er. »Und Irc hat mir noch etwas erzählt. Die Schwarze Armee hat die überschwemmten Ebenen hinter sich gelassen und befindet sich ebenfalls im Gau. Wir wären ihr unzweifelhaft in die Arme gelaufen, wenn wir die Straße zurückgeritten wären. Irc sagt, die Soldaten sind so zahlreich wie Ameisen in einem Ameisenhügel.« Hem schluckte. »Und er sagt, sie ziehen eine Spur von Leichen hinter sich her.«
»Warum sollten sie im Schlamm kämpfen?«, fragte Hekibel und schaute mit großen Augen auf.
»Ich glaube, die Schwarze Armee hat nicht gekämpft«, erwiderte Saliman mit sehr leiser Stimme. »Ich vermute, diese Leichen sind ihre eigenen Leute. Es muss fürwahr ein grausamer Marsch gewesen sein.« Eine lange Weile schwieg er. »Die meisten dieser Soldaten sind Sklaven«, fuhr er schließlich fort. »Sharmas Krieg ist nicht der ihre, sie hatten keine Wahl. Sie bemitleide ich, jenen Barden hingegen nicht.«
Hem übernahm die erste Wache. Er saß auf seiner Decke, um die Härte des Bodens zu mindern, und lauschte den unerforschlichen Nachtgeräuschen des Waldes, dem leisen Atem seiner Gefährten, den Bewegungen der Pferde, die sich im Schlaf regten. Vor ihm breitete sich eine Schwärze aus Bäumen aus: Zunächst konnte er nichts erkennen, aber allmählich passten seine Augen sich der Finsternis an, und sie ging in feine Abstufungen von Licht, Dunkelheit und Bewegungen über. Es war eine ruhige Nacht, erfüllt von tiefer Stille; selbst die Bäume raschelten kaum. Der Himmel hatte wieder aufgeklart, und die Sterne funkelten weiß an einem schwarzen, mondlosen Firmament.
Er war sehr müde, und bevor der Mond aufging, ertappte er sich dabei, einzudösen. Wütend auf sich, schlug er
Weitere Kostenlose Bücher