Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
von Schilden, Schattenlabyrinthen, Glimmerschleiern und allen möglichen sonstigen bardischen Tarnbannen, und er wusste, dass sie selbst gegen die Sicht von Untoten gefeit waren. Woher also konnte dieser Barde wissen, wo sie sich befanden?
Nichts geschah. Hem spürte den kalten Schweiß auf seinem Rücken und fragte sich allmählich, ob ihm seine Einbildung einen Streich spielte und ihm die Gestalt seiner Ängste in den Schatten und im Mondlicht vorgaukelte. Dennoch war er im tiefsten Innersten seines Bewusstseins überzeugt davon, dass da etwas war. Der Mond stieg höher, und fahles Licht versah die Bäume und das Gras mit silbrigen Kanten. Und immer noch rührte sich nichts in der leeren Nacht.
Dann senkte sich eine Armeslänge vor Hem leise ein Stiefel auf das Laub herab, behutsam, um kein Geräusch zu verursachen; sofort geriet ein Mann durch die schimmernden Ränder des “Glimmerschleiers in Sicht. Völlig überrascht, erstarrte er mitten im Schritt, als Hem auf die Beine sprang, das Schwert zog und es ihm an die Kehle drückte.
Es war der große, hellhaarige Soldat, dem sie am Tor begegnet waren. Hem hob das Schwert etwas höher, bis die Spitze an der hie des Mannes ruhte, und er sah, wie dessen Adamsapfel sich bewegte, als er schluckte. Langsam hob der Barde die Handflächen nach außen, um zu zeigen, dass sich nichts darin befand. Einige Atemzüge lang starrten er und Hem einander in die Augen.
»Samandalame«, sagte der Mann in der Hohen Sprache. »Ich habe euch gesucht.« »Ich weiß«, antwortete Hem in derselben Sprache. »Und jetzt hast du uns gefunden. Aber glaub nicht, dass du diesen Ort lebend verlassen wirst.«
Das Haus Marajan
Der Mann begegnete Hems Blick, ohne zu zucken, und etwas in Hem geriet ins Stocken; beinah hätte er das Schwert gesenkt.
»Ich bin unbewaffnet«, sagte der Mann. »Ich will euch nichts tun.«
»Das fällt mir schwer zu glauben.«
»Das glaube ich gern. Dennoch ist es wahr.«
»Ein Barde braucht keine Waffe, um gefährlich zu sein«, erwiderte Hem. Er drückte das Schwert ein wenig höher unter das Kinn des Mannes, sodass die Spitze sich in die weiche Haut seiner Kehle presste. Der Barde blinzelte und schluckte erneut.
»Töte mich nicht«, stieß er mit plötzlich rauer Stimme hervor, und Hem erkannte, dass er sich fürchtete. »Das wäre töricht, und du würdest es später bedauern. Weck Saliman von Turbansk auf. Sag ihm, Grigar von Desor ist hier und möchte mit ihm reden.«
Bei der Erwähnung von Salimans Namen erschrak Hem. Erfüllt von schrecklichen Zweifeln, hielt er inne. »Du kennst Saliman?«, fragte er.
»Ich habe keine Waffen«, beteuerte Grigar erneut. »Wenn du dich dadurch sicherer fühlst, lasse ich mich von dir auf eine Weise deiner Wahl binden. Ich kann verstehen, weshalb du mir nicht vertraust. Aber frage dich selbst: Wenn ich euch etwas Böses wollte und wusste, wo ihr wart, würde ich euch dann auf diese Weise aufsuchen - allein, mitten in der Nacht?«
Hem sah Grigar in die Augen und erkannte kein Anzeichen dafür, dass er log; dennoch blieb er voller Argwohn. Hem hatte keinen Grund zu glauben, dass der Mann nicht versuchte, ihn zutäuschen, umso weniger, da er versucht hatte, Hem mit einem Schlafzauber einzulullen. Wenn dieser Mann durch Glimmerschleier und Schilde zu blicken vermochte, warum sollte ihn ein Bindezauber dann fesseln können? Außerdem konnte Hem sich an den Bindezauber ohnehin nicht erinnern; er hatte ihn noch nie verwendet.
Ohne die Augen von Grigar zu lösen, fasste er nach Salimans Geist und rief ihn im Schlaf. Sofort war Saliman wach. Was ist?, fragte er.
Bring dein Schwert mit, antwortete Hem. Ein Mann namens Grigar will mit dir reden. Ein Barde.
Hem spürte das Erstaunen in Salimans Geist. Grigar?, hakte er nach. Bist du sicher?
Das hat er zumindest gesagt, gab Hem zurück.
Einen Lidschlag später tauchte Saliman an Hems Schulter auf. Er entfachte ein kleines Makilon, das dicht vor Grigars Gesicht trieb.
»Samandalame, Saliman«, sagte der Barde. »Es ist lange her, seit wir uns begegnet sind. Vielleicht könnte dein junger Freund aufhören, mir mit der Schwertspitze die Kehle zu kitzeln.
Ein ausgedehntes, spannungsgeladenes Schweigen entstand, und Hem spürte eine Verbindung zwischen den Barden, als erstreckte sich ein Strahl grellen Lichts zwischen ihrer beider Augen, wenngleich er kein solches Licht sah. Dann schienen sich beide Barden zu entspannen, und Saliman wandte sich Hem zu. »Senk das
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