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Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Cadvan konnte nicht hören, was sie sagte. Ihr Mund bildete eine verkniffene Linie, und ihr Gesicht war abgehärmt, als litte sie ständig Schmerzen. Ihre Arme umklammerten Cadvans Mitte wie ein Schraubstock. Spät an jenem Nachmittag gelangten sie zu einem Ort, der wie jeder andere Ort im Katenmoor aussah, abgesehen davon, dass er zu einem Sumpf hin abfiel, gesprenkelt mit abgestandenen, von Unkraut verstopften Tümpeln, in denen rote Segge, grünes Moos und hohe Binsen wuchsen.
    »Hier ist es«, verkündete Hem und zügelte Keru. »Das ist der Ort.«
    Cadvan ließ den Blick über den Sumpf und das höhere Gelände daneben wandern. Sein Kiefer verkrampfte sich. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass sich hier einst eine wunderschöne Stadt befunden hatte, nicht einmal die grasbedeckte Erhebung eines Walls.
    »Bist du sicher?«, fragte Saliman.
    »Ja.« Hem hätte nicht zu sagen vermocht, weshalb er so überzeugt davon war; er wusste nur, dass dies der Ausgangspunkt jenes Drangs war, der ihn rief, seit er und Maerad im Hohlen Land das Lied zu singen versucht hatten. Außerdem war es der Mittelpunkt der Übelkeit, die nun, da er abgestiegen war, durch seine Füße aufstieg und ihn fast würgen ließ. Er verdrängte sein körperliches Unbehagen und begann, Keru abzusatteln, die ihn an der Schulter stupste und wieherte. »Ich weiß nicht, ob das der Ort ist, der früher Afinnil war«, sagte er. »Aber ich weiß, dass wir hier sein müssen.«
    Maerad glitt von Darsor und riss sich die Augenbinde vom Kopf. Mit starrem Blick sah sie sich um, erschrocken, als wäre sie jäh aus tiefem Schlaf erwacht. »Er hat recht«, bestätigte sie. Überrascht schaute Hem zu ihr. Ihre Stimme klang klar und sicher, hallte über die Ödnis, und ihm schien, als spräche etwas durch sie. »Das ist der richtige Ort. Es ist Afinnil. Hier wurde das Lied gefangen und zu etwas gemacht, das gestohlen und für böse Zwecke missbraucht werden konnte. Hier hat alles begonnen. Hier muss es enden, gut oder schlecht, unter demselben Mond, der den Anfang gesegnet hat…«
    »Wenn hier Afinnil war, dann war dieser Sumpf einst ein für sein klares Wasser berühmter See«, sagte Cadvan nach kurzem Schweigen. »Zweifellos zerbrach der Namenlose alle Türme und nutzte sie, um den See aufzufüllen.«
    Saliman schluckte. »Ich träume manchmal von Afinnil«, verriet er. »Ich bin schon durch die Wein- und Obstgärten der Dhyllin gewandelt, habe die weißen Turmspitzen von Afinnil gesehen, die sich im Wasser spiegelten, und die Musik gehört, die durch die hohen Hallen der Stadt scholl. In meinen Träumen habe ich die wunderschönen Dinge berührt, die hier geschaffen wurden. Aber es ist nichts davon übrig. Nichts. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass Sharmas wahre Größe in seiner Nichtigkeit besteht. Ich bin nicht sicher, ob ich bis zu diesem Augenblick je wirklich verstanden habe, was das bedeutet.«
    »Ja«, pflichtete Cadvan ihm bei. »Von jener prunkvollen Zitadelle, welcher der Ruf anhaftete, die schönste Stadt auf der Erde Antlitz zu sein, ist nichts geblieben, nicht einmal der Schatten einer Ruine. Ich vermute, es ist eine Art von Größe, mit solcher Gründlichkeit zu hassen.« Plötzlich hörte er sich unsagbar erschöpft an. »Und wenn es nach ihm geht, wird dies das Schicksal aller großen Städte von Annar.«
    Hem wurde klar, dass Cadvan insbesondere das Schicksal Lirigons durch den Kopf ging, und seine eigenen Gedanken wandten sich Irc zu. Obwohl er wusste, dass die Krähe sich zu weit entfernt befand, entsandte er aus dem Bauch heraus einen Ruf. Er hatte nicht wirklich mit einer Erwiderung von Irc gerechnet, dennoch verspürte er einen Anflug von Kummer, als eine Antwort ausblieb. Er hätte zu gern noch einmal mit Irc gesprochen.
    »Wir müssen warten, bis der Mond aufgeht«, sagte Maerad. Sie holte die Leier aus ihrem Bündel, klemmte sie sich unter den Arm und ging ein Stück von den anderen weg zum Rand des Sumpfes. Dort blieb sie alleine stehen, während ihr der Wind das Haar aus dem Gesicht wehte, und starrte über das Moor. Eine plötzliche Ahnung vermittelte Hem das Wissen, dass sie nicht dieselbe kahle Landschaft sah wie er. Vermutlich, so dachte er, blickte sie auf den See, wie er einst gewesen war, umgeben von blühenden Gärten und den Türmen Afinnils, die hoch über seine ruhige Oberfläche aufragten. Cadvan rieb ein Stück entfernt Darsor ab, seine Augen jedoch ruhten auf Maerad. Sein Gesicht wirkte düster vor Traurigkeit,

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