Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
weitere Niederschläge versprachen. Vorläufig jedoch freuten die Reisenden sich darüber, nicht ständig das Prasseln auf dem Dach des Wagens zu hören, und Karim und Marich wechselten sogar ein paar höfliche Worte miteinander. An jenem Tag erreichten sie die Furt durch den Inlan. Nach dessen Überquerung würden sie in das Gebiet namens Ifant gelangen, üppiges, fruchtbares Tiefland, das sich bis hin zum Wagwald erstreckte. Von hier an verlief die Weststraße bis nach Inneil entlang des Inlan. Der durch die schweren Regenfälle angeschwollene Fluss strömte braun und rasend über die Furt, und die Reisenden betrachteten ihn missmutig und nachdenklich.
»Wie sollen wir diese Strömung durchqueren?«, fragte Marich kopfschüttelnd. »Wir müssen umkehren«, meinte Karim. »Seht euch das nur an! Wir würden gewiss mitgerissen und ertrinken.«
»Wir können nicht umkehren«, widersprach Marich mit tonloser Stimme. »In diese Richtung können wir nirgendwohin. Und Hiert liegt nur etwa eine Wegstunde von der Furt entfernt. Wir könnten dort in der Schänke absteigen, um uns zu trocknen.«
»Ich glaube, wir können es schaffen«, sagte Saliman nachdenklich. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er da und betrachtete die Wasseroberfläche. »Ich kenne diese Furt. Sie ist nicht so tief, wie sie aussieht, und wenngleich die Strömung gefährlich ist, dürfte der Wagen schwer genug sein, um ihr standzuhalten. Ich denke, wenn ich ihn mit einem Haltebann versehe, um ihm mehr Festigkeit zu verleihen, können wir unbeschadet ans andere Ufer gelangen.« Für Hem gab es keine Frage: Sie mussten den Fluss überqueren. Die Vorstellung umzukehren, erneut durch die erbärmliche Landschaft zu reisen, die sie gerade hinter sich gebracht hatten, war ihm unerträglich. Im Augenblick war er bereit, Kopf und Kragen aufs Spiel zu setzen, um dem Wagen zu entfliehen. Seine Begeisterung für das Leben eines Schauspielers hatte sich im Verlauf der vergangenen Woche restlos in Luft aufgelöst.
Die anderen lauschten Saliman mit ernsten Mienen, und Hem musterte ihre Gesichter. Dabei wurde ihm klar, dass Saliman zum eigentlichen Anführer ihrer kleinen Gruppe geworden war; die anderen, sogar Karim, beugten sich seinen Empfehlungen. Vielleicht, so dachte Hem, war das mit ein Grund, weshalb Karim in letzter Zeit so reizbar wirkte, wenngleich Saliman sich ihm gegenüber unfehlbar höflich zeigte und nie Karims Befehlsgewalt in-frage gestellt hatte.
Nach einigem Abwägen von Für und Wider beschlossen sie, die Überquerung der Furt zu wagen. Hem und Hekibel kletterten in den Wagen, wo Hekibel einen sich darüber beklagenden Fenek festhielt, während Karim die Zügel übernahm. Die Pferde scheuten sich davor, ins Wasser zu gehen, und letztlich mussten Saliman und Marich sie führen, bis sie hüfttief durch den Fluss wateten. Die Strömung erwies sich als in der Tat sehr stark und raste über die flachen Steine der Furt. Ohne Salimans Bann hätten die Männer durchaus den Halt verlieren und fortgerissen werden können, doch der Wagen selbst hielt der Strömung stand, und sie gelangten wohlbehalten ans andere Ufer. Saliman und Marich zitterten vor Kälte. Hekibel scheuchte sie rasch in den Wagen, wo sie sich trockene Kleider anziehen sollten. Als sie danach weiterfuhren, wirkten alle zuversichtlicher als seit Tagen. Hems Missmutigkeit legte sich ein wenig: Bald würde er in warmen Kleidern mit einer warmen Mahlzeit vor sich neben einem richtigen Feuer sitzen. Und wenn ihnen das Glück hold bliebe, könnten sie binnen weniger als einer Woche in Inneil eintreffen. Dort würde vielleicht Maerad auf sie warten…
Selbst als der Regen wieder einsetzte und die Straße vor ihnen mit schweren Schwaden grauen Wassers überzog, blieb seine Laune ungetrübt. Hem dachte an seinen Traum über Maerad zurück. Ja, sie kamen ihr näher, sie würden sie finden, davon war er überzeugt. Mit neu entfachter Hoffnung wandte er das Gesicht der Straße zu.
Sie kamen nicht weit, denn Marich bemerkte, dass eines der Pferde, Usha, lahmte. Er und Saliman untersuchten die Stute und stellten fest, dass der Innenteil ihres Hufs verletzt war. Außerdem hatte sie eine Schnittwunde an der Fessel, was darauf schließen ließ, dass sie im Fluss von etwas getroffen worden war, vermutlich von einem Stein in der Strömung. Saliman gelang es, die Schmerzen ein wenig zu lindern, und er kümmerte sich um die Wunde, doch sowohl ihm als auch Marich war klar, dass Usha vom Geschirr
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