Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
dunklen Flecken getrocknet, und mehrere halb ausgetrunkene Becher befanden sich über kleine Tische im Raum verstreut. Alles schien von einer dünnen Staubschicht bedeckt zu sein.
»Ich frage mich, was hier geschehen ist«, sagte er.
»Ich weiß es nicht«, gab Hekibel zurück. »Aber es ist ein wenig… ein wenig eigenartig.«
»Naja, mir ist kalt.« Damit ging Hem zum Kamin und deutete mit der Hand darauf. »Nor!«, sprach er. Schlagartig züngelte ein Feuer auf, als hätte es schon seit Stunden gebrannt. Er und Hekibel stellten sich dicht davor und streckten den Flammen die frierenden Hände entgegen. Dampf stieg von Hems durchnässten Kleidern auf. Mit dem Geräusch des Regens draußen im Hintergrund wirkte der Raum plötzlich wie eine heimelige Zuflucht.
»Es muss praktisch sein, über Bardenkräfte zu verfügen«, meinte Hekibel. »Ich wünschte, ich könnte so etwas.«
»Manchmal ist es praktisch«, bestätigte Hem. »Saliman sagt zwar, wir dürfen keine Magie einsetzen, wenn es nicht sein muss, aber im Augenblick ist mir so kalt, dass es mir einerlei ist.«
Bald hörten sie, wie Karims Schritte sich langsam die Treppe herab näherten. Mit düsterer, verwirrter Miene betrat er den Schankraum, wenngleich seine Züge sich kurz aufhellten, als er das Feuer erblickte. Er gesellte sich zu Hem und Hekibel und rieb sich die Hände.
»Ein Feuer! Beim Licht! Das ist ein Anblick, der mein Herz jubeln lässt«, sagte er. »Hast du jemanden gefunden?«, wollte Hekibel wissen.
»Keine Menschenseele, meine Liebe. Nicht einmal eine Maus. Mir gefällt das ganz und gar nicht.«
»Irgendetwas ist hier geschehen«, sprach Hem seine Gedanken aus. Er fragte sich, ob es etwas mit Untoten zu tun haben könnte, und bedachte Karim mit einem finsteren Blick. Dieser jedoch schaute gerade zur Tür, durch die Marich und Saliman mit an den Köpfen klebendem Haar eintraten. Vor ihnen schwebte ein Maki-lon, und Hem bemerkte, wie dunkel es im Schankraum während der kurzen Zeit ihres Gesprächs geworden war. Mittlerweile war die Nacht fast vollständig angebrochen.
»Niemand hier?«, fragte Saliman. Sein Blick wanderte umher und kam erst auf dem zerbrochenen Krug, dann auf der nicht zu Ende gegessenen Mahlzeit zu ruhen.
»Niemand«, erwiderte Karim. »Ich habe gerade oben nachgesehen. Es sieht so aus, als wären alle geflüchtet.«
Saliman runzelte die Stirn, schwieg aber. Er holte eine Zunderbüchse aus seinem Bündel hervor, ging damit herum und zündete die Öllampen an. Ein sanfter Schimmer erhellte den Raum.
»Ich kann hier nicht das Werk der Finsternis riechen«, sagte er, als er fertig war. »Im Augenblick habe ich nicht einmal eine Vermutung, warum dieser Ort verlassen ist. Die Schänke gehört Finar, einem der stolzesten Männer, die ich kenne; er würde seine Gaststätte gegen den Namenlosen höchstpersönlich verteidigen. Es fühlt sich so an, als wäre seit mindestens einem Tag niemand mehr hier gewesen.«
»Im Dorf haben wir auch niemanden gesehen«, fiel Hem ein. Als sie zuvor die Straße entlang gerollt waren, hatte er gedacht, es läge am schlechten Wetter; allerdings konnte er sich auch nicht erinnern, ein erleuchtetes Fenster erspäht zu haben, obschon es an einem so düsteren Tag zumindest ein paar hätte geben sollen.
»Ich denke, wir sollten einfach das Beste daraus machen«, schlug Marich vor. »Jedenfalls will ich nicht zurück hinaus in das da.« Einen Augenblick hielten alle fünf im Schankraum inne und lauschten dem heftigen Guss draußen. Es hörte sich an, als würde der Regen nur noch stärker.
»Ich auch nicht«, pflichtete Hem ihm inbrünstig bei.
Saliman zuckte mit den Schultern. »Wir haben einen Unterstand, und zumindest die Pferde sind zufrieden. Hem und ich können einen Schleier um das Gebäude legen, damit wir nicht die Aufmerksamkeit von Vorbeiziehenden erregen. Und selbst wenn sich in der Nähe Feinde aufhielten, wer würde sich in einer solchen Nacht schon draußen herumtreiben? Trotzdem würde ich viel dafür geben zu wissen, weshalb die Menschen in solcher Hast aufgebrochen sind … Hem, lass uns nach oben gehen und nachsehen, was wir dort finden.«
»Oben ist niemand«, meldete sich Karim leicht gereizt zu Wort.
»Ich weiß«, gab Saliman zurück. »Trotzdem könnte es sein, dass wir einen Hinweis darauf entdecken, was hier geschehen ist.«
Zusammen erklommen Hem und Saliman die schmale Treppe, die im Flur begann. Ihre Makilons warfen einen silbrigen Schimmer auf das dunkle Holz.
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