Die Pelzhändlerin (1. Teil)
der Liebe wusste.
Kapitel 3
Der Abend vor Meister Wöhlers Beerdigung war da. Doch nicht nur der Kürschnermeister wurde morgen begraben, auch die Wäscherin Luisa würde es nur noch in der Erinnerung geben, sobald sie die Schwelle der Besenbinderkate übertreten und sich auf dem Weg in die Trierische Gasse gemacht hatte.
Luisa trug das Kleid mit dem neuen roten Besatz und an den Füßen Stiefel aus derbem Filz, in die sie kleine Steine hineingelegt hatte, um sich daran zu erinnern, aufrecht zu gehen und nicht zu schlurfen wie früher mit den Holzschuhen.
Jeder Schritt schmerzte. Die kleinen Steine bohrten sich in ihre Fußsohlen, doch Luisa verzog keine Miene. Mit ernstem Gesicht lief sie durch die Straßen, immer dicht an den Hauswänden entlang, um nicht gesehen zu werden.
Lange hatten Martha und sie überlegt, wie sie am besten als Sibylla in das Kürschnerhaus käme, ohne dass es auffiel, dass sie weder Gepäck noch Begleitung hatte. Schließlich war Martha der Sonntagabend eingefallen. Dann hatte die Magd frei, die Gesellen waren in der Zunftstube und die Gassen nach der Abendmesse wie leer gefegt. So würde es leichter für sie sein, das neue Leben zu beginnen. Am nächsten Morgen würde sie den anderen Bewohnern mit der Selbstverständlichkeit der heimgekehrten Tochter des Hauses begegnen.
Vor der Tür des Kürschnermeisters blieb Luisa stehen. Sie war so schnell gelaufen, wie sie konnte. So als wollte sie vor irgendetwas fliehen. Vor ihrem alten Leben? Davor, dass sie es sich im letzten Moment doch anders überlegte? Noch war Zeit umzukehren. Die letzte Möglichkeit. Sollte sie wirklich hineingehen? Oder rasch nach Hause zurücklaufen und das Leben seinen Gang gehen lassen? Sie stand da und schaute die Straße entlang, sah die Häuser, die um so vieles prächtiger waren als die in der Neustadt.
Nein, ein Zurück gab es nicht mehr. Die verlockenden Möglichkeiten des neuen Lebens hatten sich längst in Kopf und Seele eingenistet. Ginge sie zurück, würde sie lebenslang dieser nicht genutzten Gelegenheit hinterhertrauern und sich niemals wieder mit dem bescheiden können, was sie hatte.
Ein letztes Atemholen noch als Luisa, dann schloss sie mit Marthas Schlüssel die Tür auf und trat ein. Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich an die Dunkelheit des Korridors zu gewöhnen.
Aufmerksam sah sie sich um. Links musste die Küche sein. So jedenfalls hatte Martha es ihr erklärt. Und rechts die Werkstatträume. Oben, im ersten Geschoss, die Meisterstube und Sibyllas Schlafkammer, daneben das große Wohnzimmer. Auf der anderen Seite befanden sich die Schlafkammer des Meisters, eine kleine Näh- und Wäschekammer und ein unbewohnter Raum, der wohl einmal für mehrere Kinder gedacht war. Unter dem Dach schliefen die Gesellen, und die Magd hatte ihre Kammer neben den beiden Lagerräumen.
Tief sog sie den typischen Geruch einer Kürschnerei ein, der im ganzen Haus hing. Ein Geruch nach Fell, ein wenig nach Gerbsäure, nach Knochenleim und Sägespänen.
Zögernd und mutig zugleich ging sie hinauf in Sibyllas Schlafkammer. Sie öffnete die Tür, schlüpfte hinein, schloss sie wieder, atmete auf und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Rahmen. «Geschafft», murmelte sie und bemerkte erst jetzt, wie sehr ihr die Knie zitterten und dass ihr der Schweiß in Strömen über den Rücken lief.
Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, öffnete sie die Augen und stieß einen freudigen Ausruf aus. Das Zimmer – ihr Zimmer – war das schönste, das sie je gesehen hatte:
Die Wände waren hell verputzt, durch das große Fenster mit den Butzenscheiben und den hölzernen Läden kam das Mondlicht herein und tauchte alle Gegenstände in ein Silberbad. Der Boden bestand aus hellen Holzdielen, und in der Mitte des Raumes lag ein kleiner Teppich. An der Wand stand ein Bett. Sie lief mit einem kleinen Jauchzer dorthin und ließ sich darauf fallen. Ein richtiges Bett mit Decke und Kissen aus Gänsefedern und weißer, frisch duftender Wäsche. Ganz für sie allein. Sie breitete die Arme aus, genoss das wohlige Gefühl und sah sich nun in aller Ruhe in ihrem neuen Reich um. An der anderen Wand stand eine verzierte Kleidertruhe aus glänzendem Holz, daneben ein kleiner Tisch. Darauf war eine polierte Metallplatte, in der man sich sehen konnte, befestigt. Sie stand auf und betrachtete sich darin. Sie würde es schaffen, Sibylla zu sein.
Dann zündete sie das Wachslicht in einem der Leuchter an und machte sich auf einen
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