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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Sorgenkind. Hast du Zeit für mich? Bitte, du bist die Einzige, mit der ich reden kann.«
    Verwundert stellt sie fest, seine Worte finden kein Echo in ihrem Herzen. Dabei hat er die ganz wichtigen Worte: Du bist die Einzige, gerade ausgesprochen. Im Gegenteil. Sein sanfter, einschmeichelnder Singsang mit dem geliebten niederländischen Akzent geht ihr auf die Nerven. Ich bin übermüdet, diagnostiziert sich Anne. Das sollte sie ihm sagen. Ich habe eine total verrückte Nacht hinter mir. Ich habe durch einen schrägen Spaß fast einen Mann umgebracht. Fast. Wir haben großes Glück gehabt. Mehr als Verstand, wie man so schön sagt, und die Geschichte hat sich zum Allerbesten gewendet. Stell dir vor, ich habe eine Ehe gerettet. Jetzt muss ich schlafen. Ich bin hundemüde. Ruf mich in ein paar Stunden noch einmal an, wenn du willst. Das würde sie ihm gerne sagen. Das sollte sie ihm sagen, sich freundlich verabschieden und auflegen. Sie schafft es nicht.
    »Erzähl«, fordert sie ihn auf.
    Kees-Jan atmet schwer durch, als bräuchte er eine weitere Ermutigung, um ihr sein Herz auszuschütten. Dabei wird ihn nichts davon abhalten, gleich ungeniert einen Seelenstriptease hinzulegen. Er weiß, Anne hat ein offenes Ohr für ihn. Jederzeit. Sein schüchtern wirkendes, ja devotes Werben um ihre Aufmerksamkeit, ist geheuchelt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er schlicht und einfach so.
    Ihre kühlen Überlegungen lassen Anne frösteln. Wieso kann sie den geliebten Mann mit so viel Abstand betrachten? Wie einen Fremden. Und das, während sie seine Stimme hört, die sie normalerweise in eine Art Hypnose versetzt. Schlafentzug? Nein, es ist mehr. Etwas hat sich verändert. Sind es am Ende ihre Gefühle für ihn? So plötzlich? Kaum anzunehmen. Und doch. Der Mut, den Monika bewiesen hat, ist ihr unter die Haut gegangen. Sie hätte einfach so weiterleben können, als wäre nichts geschehen. Aber das konnte sie nicht und das wollte sie nicht. Sie ist aufs Ganze gegangen. Sie wollte ihren Mann aufrütteln. Auf die Gefahr hin, ihn zu verlieren. Die Courage hat Anne nie aufgebracht. Sie hat sich mit einer lauen Freundschaft zufrieden gegeben. Diesem kümmerlichen Rest ihrer großen Liebe. Den hat sie nie aufs Spiel gesetzt. Diese kleine Pflanze der Hoffnung hat sie am Leben gehalten und gleichzeitig ihr Weitergehen verhindert.
    Anne hat sich nicht einmal ernsthaft mit Kees-Jan gestritten. Immer nur im Ansatz. Sie hat sofort einen Rückzieher gemacht, wenn er gekränkt reagierte. Selbst damals, als sie ihn mit Lisette verlassen hatte. Was heißt verlassen? Sie hatte inständig gehofft, er würde um sie kämpfen. Sie bitten, zu bleiben. Aber er ließ sie sang- und klanglos gehen. Als hätten sie nur ein schönes Wochenende in Amsterdam verbracht und nicht drei Jahre zusammengelebt und ein Kind miteinander.
    Und sie? Sie hätte ihm am liebsten seinen alten, sorgsam gepflegten Volvo mit Farbe beschmiert. Einer wasserfesten. Das hätte ihr Kees-Jan nie verziehen, und es hätte einen richtigen Schlussstrich gegeben. Nicht das elende Warten auf ein paar Brocken Aufmerksamkeit.
    »Ich möchte dich wiedersehen«, hört sie seine zärtliche Stimme. Anne schrickt hoch. Was hat er ihr erzählt? Sie hat ihm nicht zugehört. Dabei waren seine Worte für sie doch immer kleine Kostbarkeiten, die sie begierig in sich aufnahm.
    »Mich wiedersehen«, wiederholt Anne ungläubig. Seine Bitte erscheint ihr zu unwirklich. Es ist genau der Wunschtext, den sie ihm in ihren Träumen in den Mund gelegt hat. Sie kalkuliert ein, sich verhört zu haben.
    »Ja, das möchte ich«, antwortet er mit feierlichem Ernst. »Anne. Ich war ein Idiot, befürchte ich. Du warst schon immer die Klügere von uns beiden. Oder gibt es inzwischen einen anderen Mann in deinem Leben?«
    »Nein«, rutscht es ihr viel zu schnell heraus. Zu spät beißt sie sich ärgerlich auf die Unterlippe. »Aber, das kommt jetzt doch sehr – ach, ich weiß nicht.«
    Kees-Jan lacht leise. Für dieses Lachen wäre sie stehlen gegangen.
    »Lass dir Zeit, Anne. Du sollst nur wissen, dass ich auf dich warte. Hier in unserem Hausboot.«
    Sie bleibt ihm eine Antwort schuldig. Sie kann sich nur mit zitternder Stimme verabschieden. Wie betäubt bleibt sie auf dem Sessel sitzen und starrt aus dem Fenster. Es ist jetzt hell. Aber der Himmel zeigt sich nicht strahlend blau wie am Vortag. Schwere Wolken türmen sich bis zum Horizont. Eine von ihnen öffnet gerade ihre Schleusen. Wind peitscht Regentropfen

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