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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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übertönen. »Da kommen überall Splitter runter.«
    »Wir machen das Licht aus und öffnen die Fenster«, sagte Jacolino, »dann haben wir das Ganze von hier aus im Auge.«
    Es war, als wäre es plötzlich helllichter Tag, so stark waren die Leuchtspurgeschosse der Maschinengewehre, die Scheinwerfer und die Granaten am Himmel. Erst vor kurzem hatte Nenè das Buch eines Dichters gelesen, Montale, das ihn sehr beeindruckt hatte. Es fielen ihm zwei Verse ein, die er laut aufsagte:
     
    Die hellen Nächte alle ein Morgendämmern,
    sie brachten Füchse zu meiner Grotte.
     
    Doch keiner hörte ihm zu.
    Die Batterien auf der Anhöhe aus Mergel hinter der Stadt gaben Schüsse ab; sowie die Zerstörer, die Kriegsschiffe und die zehn Motorfischerboote, die vom Militär vereinnahmt und mit Waffen bestückt worden waren. Und trotz dieses entsetzlichen Lärms, der Nenè beinahe taub machte und in den Ohren schmerzte, hörten sie das dumpfe, mächtige Rollen der herannahenden Flugzeuge, ein Donnern, dem man nichts entgegensetzen konnte – außer der Hoffnung, verschont zu werden.
    »Umarme mich.«
    Es war Grazia. Nenè legte ihr den Arm um die Schultern. Das Mädchen drückte sich an ihn. Er spürte, wie sie zitterte.
    »Entschuldige, ich habe furchtbare Angst.«
    Da umschlang Nenè auch ihre Hüfte. Und so warteten sie gemeinsam auf ihr Schicksal. Das es gut mit ihnen meinte. Langsam zog das Gewitter über die Stadt hinweg, verlor sich schließlich in der Ferne, und die Schüsse wurden immer weniger, bis gar keine mehr zu hören waren.
    »Diesmal hatten sie es nicht auf uns abgesehen«, sagte Ciccio und schloss die Fenster.
    Sofort löste Grazia sich aus Nenès Umarmung. Jacolino knipste das Licht wieder an. Sie sahen einander an. Sie waren alle blass im Gesicht und hatten großen Durst, vielleicht wegen der Angst, die sie ausgestanden hatten. Eilig tranken sie die letzte Flasche aus, ihre Heiterkeit war verflogen. Es war ihnen nicht mehr nach Reden zumute, Der Abend war vorbei. Sie verabschiedeten sich, während die Sirenen Entwarnung gaben.
     
    Tags darauf fuhren Nenè, Ciccio und Jacolino gemeinsam mit dem Bus nach Montelusa. Als sie an der Schule ankamen, erfuhren sie, dass der Unterricht heute erst später begann. So hatten sie ein bisschen Zeit, um über die Geschehnisse des Vorabends zu sprechen.
    »Dieser Krieg geht mir wirklich auf die Nerven«, sagte Ciccio. »Gerade als wir so richtig in Fahrt waren, gingen die Alarmsirenen los.«
    »Stimmt«, sagte Nenè, »aber ein viel größeres Problem als der Krieg ist diese Signora Flora. Sie passt auf wie ein Wachhund. Ich fühlte mich in ihrer Anwesenheit wie gelähmt, und den Mädchen schien es ähnlich zu gehen.«
    »Allerdings«, pflichtete Ciccio ihm bei. »Wir könnten den Mädchen fünfzig Liter Wein mitbringen – solange Signora Flora da ist, rühren sie sich nicht.«
    »Aber ich hab doch extra beim Bombenangriff das Licht ausgemacht! Das hättet ihr ausnutzen können!«, sagte Jacolino.
    »Was fällt dir ein, Jacolì? Ausnutzen! Die haben doch gezittert vor Angst!«
    »Umso besser! Das war die Gelegenheit!«, beharrte Jacolino.
    »Und du? Hast du denn die Situation ausgenutzt?«
    »Ich brauche das nicht«, sagte Jacolino beleidigt. »Ich kann ja zu ihnen gehen, wann es mir in den Sinn kommt.«
    »Und nun?«, fragte Nenè an Ciccio gewandt. »Gehen wir nächsten Montag wieder hin oder nicht?«
    Ciccio überlegte einen Augenblick. Sofort schaltete Jacolino sich wieder ein.
    »Denkt daran, dass ihr die Mädchen am Montag zum letzten Mal seht. Danach wechselt die Besetzung.«
    »Na und?«, sagte Ciccio.
    »Ich finde, ihr solltet unbedingt nochmal hingehen, und sei es nur, um euch von ihnen zu verabschieden. Immerhin habt ihr sie ja jetzt kennengelernt. Wenn ihr euch nicht nochmal blicken lasst, könnten sie euch das sehr übelnehmen. Und wozu so unfreundlich sein?«
    »Ich für mein Teil würde nochmal hingehen«, sagte Nenè. »Aber Signora Flora …«
    »Mach dir ihretwegen keine Sorgen«, sagte Jacolino. »Sie isst mit den Mädchen, dann zieht sie sich auf ihr Zimmer zurück. Das ist immer so. Ihr müsst sie höchstens eine Stunde ertragen, danach seid ihr sie los.«
    »Einverstanden«, sagte Ciccio.
    »Also, dann hört mal, was ich mir überlegt habe«, sagte Jacolino. »Diese Mädchen kommen alle vom Festland, und es ist gut möglich, dass sie noch nie unsere Cuddriruni probiert haben. Ich kümmere mich darum. Der Bäcker Titillo soll sie zubereiten, der macht

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