Die Perlenzüchterin
Osten« – die andere Seite Australiens. Sie schien ferner zu sein als die Inseln auf dem Weg nach Asien.
Von den Moonlight Bay Apartments bergab lag hinter einem gepflegten Park das Continental Hotel, wo sie beim ersten Mal in Broome abgestiegen war. Heute verdeckten Modernisierungsmaßnahmen die klassischen Linien des alten Hotels. Ganz in der Nähe stand an einer Ecke ein leer stehendes, rostendes Wellblechgebäude, in dem sich in den 1920 er-Jahren Ausstattungslager und Geschäft eines Perlenbarons befunden hatten. Hier hatten die Mannschaften alles, was sie benötigten, auf Pump gekauft. Bezahlt hatte man nach einer Schicht auf See. Lily war viele Male daran vorbeigegangen, hatte durch die zerbrochene Scheibe geschaut und den traurigen, schalen Geruch nach Salz, verrottenden Krabbenfallen aus Bambus und altem Tauwerk in sich aufgenommen. Ein Stück weiter befand sich das alte Zollhaus, in dem heute die Historische Gesellschaft und das Historische Museum ihren Sitz hatten.
Nach einer Dosis Menschenbeobachtung beim Morgenkaffee holte Lily ihre Post und wollte eigentlich am Cable Beach surfen. Doch einer Laune folgend kehrte sie auf halber Strecke um und fuhr zum ersten Mal die Chapple Street entlang. Auf der einen Straßenseite wurden Mehrfamilienhäuser gebaut, auf der anderen hatten einige der alten Wellblechhäuser überlebt. Noch ein kurzes Stück weiter die Straße entlang, und der neue Asphalt mündete in einer unbefestigten Straße, die wiederum in einer Sackgasse aus Schlick und Mangroven endete. Auf der anderen Seite der Schlammzone standen weiter den Creek entlang zwei Kokospalmen. Gerade und hoch wie Fahnenstangen wuchsen sie neben einer kleinen Wellblechbaracke mit einem verrottenden Holzdingi inmitten von Unkraut und Gras. Das Gelände wirkte vernachlässigt und verlassen, wenn man von dem Kombi, der in der Nähe des Häuschens parkte, und der neuen Mülltonne neben der Verandatreppe absah. Im Schlick des Wattbodens sah Lily die Reifenspuren des Wagens, die zur Baracke führten. Neugierig fuhr sie über das stoppelige braune Gras und lenkte ihre Räder vorsichtig in die Furchen im Schlamm.
Es schien unwirklich, dass sich nur ein paar Straßen weiter eine geschäftige Stadt befand – das klimatisierte Paspaley-Einkaufszentrum, die stets überfüllte Post, die Straßen voller Touristen und Einheimischer, die ihren Geschäften nachgingen. Und hier stand ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, das die Verwüstungen durch Zeitläufte und Stadtentwicklung überlebt hatte. Als sie näher kam, sah sie einen Hund im Kombi und bemerkte, dass das Häuschen Gardinen hatte. Ein Garten war angelegt worden und jemand hatte Kisten mit Angelausrüstung, Seilen und Werkzeugen ordentlich in einem Schuppen verstaut. Das Gelände sah bewohnt aus – vielleicht ein Ferienhaus. Sie parkte neben dem Kombi und stieg aus. Der Hund beachtete sie gar nicht, und so ging Lily ums Haus herum zur Vorderseite, die auf den Creek hinausging.
Eine Aufschleppe verlief vom ungemähten Rasen in den Creek hinein. Die Ebbe hatte die Fahrrinnen freigelegt, auf denen kleine Boote durch die Mangroven zur Bucht fahren konnten. Ein behelfsmäßiger Grill aus großen Steinen sah aus, als werde er häufig benutzt. Lily wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Haus zu. Es hatte eine wackelige Veranda mit einem morschen Korbstuhl. Wer auch immer hier leben mochte, er aß gerne Fisch – Angelruten und Spulen lehnten neben dem Eingang. Alles war sehr friedlich, die einzigen Geräusche waren die des Wassers und die Schreie der Wattvögel. Auf der Treppe rief sie: »Jemand zu Hause?«
Ein Mann kam heraus. Als er Lily sah, fuhr er sich mit der Hand durch seinen zerzausten kurzen schwarzen Haarschopf, in dem vergeblichen Versuch, etwas Ordnung hineinzubringen. Er mochte vierzig Jahre alt sein, war trotz eines Bäuchleins von athletischer Statur und trug Shorts und ein legeres Hemd. »Morgen.« Er lächelte. »Traumhafter Tag. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe mich nur umgesehen und konnte nicht widerstehen, ich musste meine Nase mal hier reinstecken. Es gibt in Broome nur noch so wenige von diesen alten Häusern. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
»Nö. Machen sich nicht viele Leute die Mühe, diesen Schlammstreifen zu überqueren, ich werde also nicht oft gestört«, entgegnete er liebenswürdig. »Sind Sie auf Besuch hier?«
Lily grinste. »Meine Besuche werden immer länger. Ich bin so oft hier, dass ich mich allmählich wie
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