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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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das?«
    »Fragen Sie nicht, wie oder warum. Seien Sie einfach nur. Seien Sie intuitiv, für alles offen. Das ist alles.«
    »Das ist nicht gerade eine wissenschaftliche Herangehensweise«, bemerkte Sami.
    »Ach, beobachten kann man nicht nur mit den Augen. Hier haben Sie die Gelegenheit, etwas in sich aufzunehmen, etwas zu respektieren, das wir nicht vereinnahmen dürfen. Wir genießen das Privileg, dass man uns etwas zeigt und wir diese Erfahrung machen«, sagte er mit sanfter Stimme.
    Sami nickte. »Ich glaube, ich verstehe.«
    Die Felswand unter dem Überhang wich zurück. Sami betrat eine kühle Höhle, in der ein Dutzend Personen ihr Lager aufschlagen konnten. Sie sah sich um. Als ihr Blick auf die Rückwand des Überhangs fiel, hielt sie den Atem an. Eine ganze Schar Figuren und Tiere bedeckte die Sandsteinwand. Einige waren verblasst, doch bei anderen war das leuchtende Ocker noch erhalten. Am meisten verblüffte Sami, wie lebendig diese Kunst wirkte. Die stark vereinfachten Figuren, Menschen- und Tiergestalten, schienen bei einem freudigen Tun eingefangen worden zu sein. Sie tanzten, kopulierten, jagten, scheinbar ohne Einmischung und Interpretation eines sich seiner selbst bewussten Künstlers. Ehrfürchtig stand sie da, dann fiel ihr auf, dass die anderen sie beobachteten.
    Bridget lächelte. »Und?«
    Sami bemühte sich, ihren ersten Eindruck in Worte zu fassen. »Es wirkt alles so spontan. Als hätte man einen Schnappschuss von ihnen gemacht. Obwohl der Stil stark vereinfachend ist, scheinen die Bilder das innerste Wesen der Figuren einzufangen. Ich kann es nicht erklären«, schloss sie matt.
    »Müssen Sie auch nicht. Das bringt es schon ziemlich auf den Punkt«, sagte Palmer befriedigt. »Es ist das spirituelle Wesen, was man hier eingefangen hat. Das ist kein Realismus.«
    Bridget führte die Erklärung fort. »In den Wandjina-Felsmalereien haben sich die großen Schöpfergeister selbst in den Fels gemalt, sie wurden nicht von Sterblichen gemalt. Wandjina ist der Schöpfergeist, der über die junge Erde wanderte und die Landschaft formte. Diese Bilder kamen später, als die Geister zu Menschen wurden und tanzten, sangen und jagten und sie sich mit ihren Malereien in die Gegenwart und die Zukunft fortschrieben.«
    »Diese Vorstellung kann schwer fassbar sein, besonders, wenn Leute wie ich daherkommen und Felsproben datieren und Zeitspannen, Zeitalter und Entwicklungschronologie feststellen wollen«, warf Palmer ein.
    »Und wie kommen Sie mit der zweigleisigen Interpretation zurecht?«, wollte Sami wissen. »Der intuitiven und der wissenschaftlichen?«
    »Es kommt der Augenblick, da kapituliert man und vertraut auf das große Ganze. Dann ergibt es allmählich einen Sinn. Lassen Sie sich Zeit, Sami. Falls es Sie überhaupt interessiert«, fügte er noch hinzu.
    Goonamulli sprach mit Bridget, die sich an Sami wandte. »Ich soll dir ein bisschen mehr über das Heilige erzählen, das für uns bedeutet, dass wir in spiritueller Hinsicht ewig leben.«
    »Es ist ein totemistisches System«, warf Palmer ein.
    »Es bedeutet schlicht Einheit«, sagte Bridget. »Die Einheit aller lebenden Wesen und der Naturkräfte, die alles im Leben beeinflussen, vom Glauben über Zeremonien bis hin zu Verhalten, Philosophie und Mythologie. Alles ist durch die Zeit verbunden, wie in einem Kreis. Wir sind ein Teil des Landes, gehen wieder ins Land ein und werden wieder geboren.«
    »Das scheint mir ein enorm umfassendes Weltbild zu sein«, meinte Sami. »Auf Anhieb erst mal wirklich schwer zu verstehen.« Bis jetzt hatte sie Bridget für eine praktische, berufstätige Frau gehalten, die zufällig auch Aborigine war. Ihre Erklärungen zu den Malereien offenbarten aber ihre spirituelle Prägung und ihr Wissen darüber.
    »Ich stelle es mir so vor: Wo wir geboren werden, das prägt uns. Wo wir beschließen zu sterben, bekräftigt, wer wir sind.«
    Nun sah Sami, dass Bridget in zwei Welten funktionierte, zwei Denkweisen folgte, zwei Arten hatte, das Leben anzugehen. »Denkst du im Alltag darüber nach?«, fragte sie.
    »Manchmal. Meist ist es einfach ein Teil von mir, von der, die ich bin. Ich bin mir meiner Kultur intensiver bewusst, weil ich in diesem Bereich arbeite. Und apropos arbeiten – das sollten wir jetzt auch tun.«
    Während Bridget, Goonamulli und Palmer sich auf einen Abschnitt der Wand konzentrierten, betrachtete Sami die Bilder genauer. Besonders eines fesselte ihre Aufmerksamkeit. Es stellte ein kleines Boot dar,

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