Die Perlenzüchterin
moderne Zeug ist doch unglaublich kommerziell, oder?«, fragte Sami.
»Ein paar zeitgenössische Aborigine-Künstler fassen gerade Fuß auf dem internationalen Kunstmarkt«, entgegnete Palmer. »Wichtig ist das vor allem, weil dadurch in der großen weißen Welt ein Bewusstsein geschaffen wird. Mit Respekt und Genehmigung der Gemeinschaft angefertigt, sendet sogar eine Reproduktion auf einem einfachen T-Shirt eine Botschaft in die Welt. Die Menschen überall sehen, dass wir Australier ein ganz besonderes kulturelles Erbe haben, das sich anzusehen lohnt. Ende der Predigt.«
Sie schwiegen eine Weile. Sami verdaute ihre Gefühle und Palmers Erläuterungen. Dann sagte sie: »Es ist, als würden alle diese Bilder ein Geheimnis hüten. Die Leute kaufen ein Bild und hängen es sich an die Wand, dabei haben sie keine Ahnung, was unter der Farbe liegt.« Diese Worte brachten die nebulösen Gedanken, die ihr durch den Kopf schwebten, nicht klar zum Ausdruck. »Und eines Nachts erwacht das Bild vielleicht zum Leben oder es beginnt zu pulsieren oder zu singen. Nur eine bizarre Idee, aber, ich meine, würden sie diese innere Geschichte je wirklich verstehen?«
»Wollen sie das denn? Müssen sie es? Manchen Leuten gefällt die äußere Form, und das reicht.« Er suchte ihren Blick. »Irgendetwas sagt mir, dass du unter die Oberfläche gelangen willst.« Als Sami nicht antwortete, begann er zu pfeifen. Und bei sich dachte er, dass dies eine junge Frau mit vielen Fragen war. Im Gegensatz zu den vielen anderen jungen Frauen, die er unterrichtete, schwatzte Sami nicht über ihr Privatleben, redete nicht über ihre Forschungsarbeit, ihre zukünftige Arbeit oder überhaupt über ihre Pläne. Sie war unverkennbar intelligent, gut erzogen, doch hinter ihrer höflichen Fassade lag eine Reserviertheit, die er nicht verstand. Er hatte gespürt, dass sich in den alten Höhlen nicht nur ein akademisches Interesse in ihr geregt hatte. Der Anblick hatte sie emotional berührt, und zwar unerwartet und heftig.
Ted Palmer erinnerte sich an die Zeit seiner Doktorarbeit. Es war eine anstrengende Zeit gewesen. Er hatte viele Doktoranden aufgeben, verschieben, depressiv oder manisch werden sehen. Obschon geschieden und kinderlos, war er doch ein Mann, zu dem junge Leute eine gute Beziehung aufbauten. Vielleicht lag es daran, dass er junge Menschen genauso behandelte wie seinesgleichen, die um die fünfzig waren. Palmers Meinung zufolge bestand die Welt aus Ebenbürtigen. Er hielt jeden Menschen, den er traf, für intelligent und mitfühlend und behandelte ihn dementsprechend – bis sich eventuell dessen Dummheit erwies. Er kam zu dem Schluss, Sami sei wie eine noch fest verschlossene Blütenknospe. In der Sonne der Kimberleys würden sich ihre Blütenblätter entfalten.
Er sang leise vor sich hin, während sie weitergingen. Nach einiger Zeit sah er, dass ihre Kinnpartie sich entspannte, daher fragte er sie: »Macht es dir Spaß?«
Sie sah ihn überrascht an. »Spaß? Ich versuche, das alles zu verarbeiten, und frage mich, wie es sich auf meine eigenen Forschungen auswirkt. Es ist völlig faszinierend, aber auch verstörend.«
Zufrieden lächelnd trat Palmer einen Schritt zurück. »Na, dann warte ab, bis du nach Broome kommst. Das ist Spaß.«
Lily war zurück in Broome, doch sie konnte die Gedanken an die Star-Two-Farm und ihr Gespräch mit dem alten Dave ebenso wenig abschütteln wie die Stimmung, in die das alles sie versetzt hatte. Sie saß auf dem Balkon und sah der Flut zu. Und auf einmal wurde ihr alles klar. Warum hatte sie das nicht schon früher erkannt? Die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem Verhalten von Georgiana, die Broome und ihre familiären Bindungen dorthin abgelehnt hatte, und dem von Sami, Georgianas Enkelin. Sie stand auf, entschlossen, nicht weiter über Sami und die Spannungen zwischen ihnen nachzudenken. Hungrig beschloss sie, essen zu gehen, in irgendein kleines Restaurant in der Nähe. Dale hatte zwei Nachrichten auf ihrem Handy hinterlassen, auf die sie nicht geantwortet hatte. Er wollte, dass sie zum Abendessen zu ihm nach Hause kam, doch Lily war an diesem Abend nicht danach. Durch ihren Kopf wirbelten Ideen und Träume, die sie Dales Pragmatismus nicht ausliefern wollte. Außerdem lebte er so weit außerhalb, dass sie bei ihm übernachten müsste. Hin und wieder Sex mit einem attraktiven, liebevollen Freund zu haben war zwar ganz schön, doch in dieser Nacht wollte Lily allein sein.
Sie entschied
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