Die Perlenzüchterin
Sie wenigstens einmal hin und sehen es sich an. Wir haben uns nicht ohne Grund heute Abend hier getroffen.« Sie leerte ihr Glas, ihre Augen blitzten.
»Sicher, der Grund war ein leckeres Curry, und das wird gerade kalt!« Sie begannen mit ihrem Essen und tauschten dabei genüsslich Meinungen und Witze über die Lokalszene und über Leute aus, die sie getroffen hatten. Als sie beim Kaffee angelangt waren, wussten beide, dass eine Fahrt zur Red Rock Bay unumgänglich war.
Zurück in ihrem Apartment, machte Lily sich bettfertig. Dann ging sie im Zimmer auf und ab, bis sie schließlich den Fernseher anstellte. Auf dem Lokalsender lief die
Mary G Show,
und normalerweise brachte die so genannte Königin der Kimberleys sie mit ihren treffenden, witzigen Bemerkungen zum Lachen. Doch an diesem Abend konnte die beliebte Aborigine-Comedy-Show Lilys Aufmerksamkeit nicht fesseln. Sie ging hinaus auf den Balkon und lauschte dem Tschuk-tschuk eines Geckos, der an der Mauer haftete, dem Gelächter aus einem Apartment auf der anderen Seite des Rasens, und dem Planschen eines späten Schwimmers im Pool. Harmlose, vertraute Geräusche. Als sie den Blick hob, sah sie das silbrige Wasser der Roebuck Bay, die sich bis zum Horizont erstreckte. Im Süden blinkten die Lichter der Jachten, und unterhalb der gepflegten Rasenflächen der Moonlight Bay Apartments schwappte das Wasser in schnellem Rhythmus durch die Mangroven. Wenn die Regenzeit und die Zyklone kämen, würde das nicht mehr so harmlos wirken. Im Schlick der Mangrovenwälder lagen Skelette von Loggern, Symbole einer Branche und einer ganzen Ära.
Konnte sie den Traum, den auch ihr Urgroßvater und seine geliebte Olivia gehegt hatten, wieder auferstehen lassen? Konnte sie selbst noch einmal ein neues Leben beginnen? Eines, mit dem ein hohes finanzielles Risiko, die Lösung ihrer früheren Bindungen und womöglich gar die Entfremdung von ihrer Tochter verbunden waren? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden … Lily beschloss, es auszuprobieren – falls sie Dave George, Tim und seine Investoren dazu bringen konnte, sich zu beteiligen.
Sie war selbst überrascht gewesen von der Eingebung, Tim ihren Vorschlag zu unterbreiten. Aber es hatte sich richtig angefühlt. Sie würde einfach ihr Bestes geben. Blitzartig hatte sie erkannt, dass tief in ihr eine Frage unbeantwortet bliebe, wenn sie es nicht versuchte. Und dann würde sie eine verbitterte alte Frau werden. Sie atmete tief durch, ging hinein und fiel in einen traumlosen Schlaf.
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Kapitel sechs
An einem späten Samstagvormittag fuhr Sami zum ersten Mal nach Broome. Sie bemühte sich, nicht aufgeregt zu sein. Um die Sehenswürdigkeiten und Eindrücke auf der Frederick Street auf sich einwirken zu lassen, fuhr sie langsam, während sie sich dem Stadtzentrum näherte. Smaragdgrüne Rasenflächen, Streifen kahler roter Erde am Rand des Asphalts, eine junge Aborigine mit Kinderwagen. Ein älterer Mann, der einen Sonnenschirm über sein kahles Haupt hielt und gemessenen Schrittes ging, als sei es zu heiß für Eile. Eine Gruppe herumtollender Kinder auf Fahrrädern, die die Hitze ignorierten. Das verrückte, bunte Wandgemälde auf einer Ziegelmauer, an der ein Schild verkündete, dass es sich um das Gefängnis von Broome handelte. Die Schar von Besuchern, die sich am Gefängniseingang drängelten. Dann erblickte sie durch hohe Baobab-Bäume und Palmen hindurch einen grandiosen, eleganten weißen Bau, über dessen Tür »Gericht« stand.
Auf den Rasenflächen um das Gerichtsgebäude herum fand der wöchentliche Trödelmarkt statt – ein farbenprächtiges Gewimmel, das sofort Samis Aufmerksamkeit fesselte. Sie schaltete herunter, nahm die nächste Abzweigung und rollte auf den Rasenstreifen, auf dem wildes Parken anscheinend zum guten Ton gehörte. Warme Luft, hundert verschiedene Düfte, Gelächter, blauer Himmel, lebhaftes Treiben und Musik umfingen sie. Vielleicht war sie so aufgeregt, weil sie schon so viel über Broome gehört hatte? Weil sie endlich angekommen war, weil sie etwas mit dieser Stadt verband? Aus welchen Gründen auch immer, sie spürte, wie sich ihre Stimmung hob und stellte fest, dass sie wildfremden Menschen zulächelte – die zurücklächelten.
Kevin und Bette waren ebenfalls auf den Markt gegangen, um ihre Vorräte an Obst und Gemüse aufzustocken. Während sie noch an einem Stand auswählten, tauchte Bobby Ching auf. »Hallo. Wie geht’s?«
»Hey, Bobby. Wir strotzen vor Gesundheit, danke
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